Warum Deutschland viel zu groß ist. Eine wirklich wahre Geschichte.

Diese Geschichte beginnt vor vor langer, langer Zeit. Zu einer Zeit, als Deutschland ganz klein war. Das ganze Land war damals nur 18,895 Meter lang und 18,895 Meter breit, das ergibt eine Gesamtfläche von ungefähr 357 Quadratmetern. Das – war Deutschland. Zu jener Zeit war alles kleiner als heute, die Menschen, ihre Häuser, ihre Ponies, und abends saßen sie in ihren kleinen Häuser und lasen winzige Bücher.

Das ganze Land, all seine Bewohner und alle Autos (es gab schon Autos zu dieser Zeit) zusammen nur sehr wenig Platz brauchten, um glücklich zu sein. Genau genommen waren sie gerade so glücklich, weil alles so klein war. Denn das Gute daran war, dass alle nicht sehr weit auseinander wohnten. Jeder hatte beste Freunde, und alle besten Freunde wohnten immer direkt um die Ecke. So konnten sich alle sehr oft gegenseitig besuchen.

Das war sehr schön.

Abgesehen von seiner Größe war Deutschland ein ganz normales Land. Es gab dort Kühe und Schweine, kleine Bauernhöfe und Schulen, und viele kleine Läden, in denen all die kleinen Menschen Dinge zum Anziehen, zum Essen oder Bücher kaufen konnten. Die Menschen in Deutschland lasen sehr gerne Bücher. Und sie schrieben gerne.

Es gab auch Unternehmer in der Stadt. Der größte Unternehmer in Deutschland hieß zufällig Deutsche. Herr Deutsche war ein stets schlecht gelaunter Mensch. Und er erfand immer wieder neue Sachen. Die anderen Einwohner Deutschlands fanden, er sei ein Spinner, aber harmlos, also ließen sie ihn spinnen und kümmerten sich nicht weiter um ihn. Meist betrachteten sie seine neuen Erfindungen mit einer gewissen Neugier, die jedoch meist in Ablehnung umschlug. Denn alles, was Herr Deutsche erfand, war schlicht unnütz.

Herr Deutsche hatte zum Beispiel eine Infrastruktur für Deutschland erfunden. Es gab Bahngleise und Züge, die darauf fuhren, aber eigentlich fuhren die Züge nirgendwo hin, es war doch ohnehin alles, was man brauchte, und jeder, den man sehen wollte, zu Fuß in wenigen Minuten erreichbar. Also fuhren die Züge im Kreis einmal um Deutschland herum, das dauerte genau sechsundzwanzig Minuten und dann war man wieder dort, wo man losgefahren war. (Die Züge fuhren sehr langsam.) Sie waren gebaut worden, damit Menschen darin zu ihrem Vergnügen fuhren, damit sie Spaß hatten, doch bald machten die Züge den Leuten keinen Spaß mehr und sie fuhren nicht mehr mit dem Zug. Die Züge, eigentlich war es nur ein Zug, aber alle sagten immer “die Züge”, da das alles größer wirken ließ, die Züge also wurden von Herrn Deutsche betrieben. Und weil es seine Bahn war, nannte er sein Unternehmen Deutsche Bahn. Und die Deutsche Bahn fand es überhaupt nicht gut, dass von den Menschen in Deutschland niemand mehr mit dem Zug fuhr.

Bei der Planung von Deutschland war in der Vorzeit darauf geachtet worden, dass alle Häuser so gebaut waren, dass man von jeder Wohnung in jede andere mit einem Joghurtbecher-Schnurtelefon telefonieren konnten. Die meisten Einwohner Deutschlands nutzten diese Vorkehrung gerne. Sie mochten das.

Herr Deutsche jedoch hatte kurz nach der Deutschen Bahn auch ein Telekommunikationsunternehmen gegründet, und weil Telekommunikationsunternehmen ein so langes Wort war, ihm aber nichts Besseres eingefallen war, hatte er es einfach Deutsche Telekom genannt. Er hatte gedacht, die Leute würden sicher gerne miteinander telefonieren wollen, wenn sie doch einmal Deutschland verließen oder raus aufs Land fuhren. Also hatte die Deutsche Telekom dicke Kabel unter der Erde verlegt und hohe Funkmasten aufgestellt.

Doch es kam in tausend Jahren deutscher Geschichte nur einmal vor, dass jemand das Land verließ, und dabei handelte es sich um einen versehentlichen Grenzübertritt in einem undurchsichtigen Waldstück im süddeutschen Hochland, ein Versehen, das nur drei Meter später bereits wieder korrigiert war. Davon abgesehen hat in all diesen Jahren nie irgendjemand Deutschland verlassen. Weil alle glücklich waren.

Wozu also sollten sie telefonieren müssen? Dass eine Antwort auf diese Frage fehlte, verursachte den Telekommunikationsunternehmen große Schwierigkeiten.

Wenn man in Deutschland eine Neuigkeit oder ein Gerücht verbreiten wollte, war das ganz einfach. Man musste lediglich mit einem Nachbarn oder einem Fremden auf der Straße sprechen, einen Zettel an einem Laternenpfahl oder an einer Litfaßsäule aufhängen. Hatte man die Nachricht erst in die Welt gesetzt, wussten meist binnen weniger Stunden alle Bescheid. Deshalb gab es in Deutschland auch keine Zeitungen, kein Fernsehen, kein Radio und kein Internet. Jeder kannte jeden und wusste, welche Verbreiter von Nachrichten vertrauenswürdig waren und wem sie kein Wort glauben durften. Und alle waren sehr zufrieden so, wie es war.

Der Abiturient Rudolf von S. befasste sich in einem längeren Aufsatz im Fach Deutsch mit der Kommunikation in Deutschland. Sein Abitur war zu schlecht war, um eine Zulassung an einer Hochschule zu erhalten. Außerdem konnte er nichts. Und er hatte nichts, außer seinem Abitur und einer horrenden Telefonrechnung der Deutschen Telekom (deren erster und einziger Kunde er geworden war, nachdem er über einige Monate hinweg versucht hatte, telefonisch Kontakt zu einer französischen Austausschülerin zu halten, mit der er während ihres Deutschlandaufenthalts eine kurze Liaison gepflegt hatte, bis deren Mutter ihm eines Abends am Telefon erzählt hatte, dass diese schon lange très amoureuse de Jean-Michel sei. Rudolf von S. hatte zwar immer noch kein Französisch gesprochen und nur Jean-Michel verstanden, doch diese Information hatte ihm genügt, um seine Hoffnung endgültig sein zu lassen. Er hatte beschlossen, sie zunächst zu ertränken, drei Flaschen Schnaps gekauft und sich fürchterlich betrunken. Als er am nächsten Morgen mit seinem Katerkopf zum Briefkasten gegangen war, hatte er darin eine horrende Rechnung der Deutschen Telekom gefunden. Er hatte dort angerufen, um über einen Preisnachlass zu verhandeln, die Deutsche Telekom jedoch hatte sich nicht im Geringsten  für die amourösen Verwirrungen eines Abiturienten interessiert und auf Zahlung der vollen Rechnungssumme beharrt.)

Rudolf von S. realisierte, dass er bald Geld brauchte. Viel Geld. Und sehr bald. Also machte er sich selbstständig.

Mit der Kommunikation in Deutschland kannte er sich dank seines Aufsatzes bereits aus, also gründete er die Medien und nannte sie Allererster Rundfunk Deutschlands (ARD). Rudolf von S. brauchte Personal, da er sicher war, eine immense Marktlücke entdeckt zu haben, deshalb engagierte er einige Erfinder, unter anderem jemanden, der einen Fernsehapparat für ihn erfand, sowie einen Herrn Axel S., der bald eine Zeitung erfand, mit der sich alle kursierenden Gerüchte auch schriftlich verbreiten ließen. Doch die Erfindungen waren teuer. Dafür gingen Rudolf von S.’ letzte Ersparnisse drauf. Er hoffte jedoch, bald Gewinne einzufahren.

Leider musste er bald feststellen, dass niemand einen Fernseher haben wollte, und auch keine Zeitung. Die Menschen hatten ihre Bücher. Und sie hatten einander. Das war alles, was sie brauchten.

So stand Rudolf von S. bereits bald nach Gründung des ARD kurz vor der Insolvenz.

Viele Bewohner Deutschlands hatten Jahrhunderte lang Brieftauben und Pelikane gehalten, um einander Briefe und Pakete bis fünf Kilogramm schicken zu können (bei mehr als fünf Kilogramm Gesamtlast stürzten die Pelikane so oft ab). Herr Deutsche, dem schon Bahn und Telekom gehörten, gründete also noch ein drittes  Unternehmen, in der Hoffnung, damit die bisherigen Verluste zu kompensieren.

Also beschloss er, das Gerücht in die Welt zu setzen, diese Art des Versands sei unhygienisch und teuer (Vogelkot und Vogelfutter). Außerdem sei sie tierschutzrechtlich sowie sozial bedenklich, da häufiger abgestürzte Pelikane von der Freiwilligen Feuerwehr aus Bäumen oder Wohnzimmern gerettet werden mussten. Zudem neigten die Brieftauben ab einem gewissen Alter dazu, sich zu verfliegen, und belästigten dann Ortskundige mit Fragen nach der richtigen Route. Also erzählte Herr Deutsche seinem Nachbarn und, um sicher zu gehen, der Kioskbetreiberin an der Straßenecke, der Briefversand könne so nicht weiter getätigt werden. Eine Stunde später ging er zum Markt und berichtete dort dem Imker, der Honig verkaufte, er habe die Lösung für alle Versandprobleme in Deutschland gefunden.

Das war der Tag, an dem Herr Deutsche die Deutsche Post erfand.

Die meisten Leute in Deutschland kannten Herrn Deutsche jedoch schon lange als einen Meisterkoch in der Gerüchteküche, und auch von seinen bisherigen, eher zweifelhaften Geschäftsideen hatten sie schon gehört. Niemand brauchte die Deutsche Telekom oder die Deutsche Bahn, was also sollten sie mit einer Deutschen Post? Um es kurz zu machen: Herr Deutsche ging ihnen auf den Sack.

Also nutzten alle Einwohner Deutschlands weiter ihre Dosentelefone, gingen zu Fuß zu ihren Nachbarn und züchteten fleißig Vögel. Und alle waren glücklich.

Alle, bis auf zwei.

Denn Herr Deutsche und Rudolf von S. waren alles andere als glücklich. Genauer gesagt waren beide sehr unglücklich:

Rudolf von S. betrauerte immer noch das Ende seiner kurzen, heftigen Liebe zu der französischen Austausschülerin, und verbrachte viele Nächte (auch die Tage,) damit, kistenweise billigen französischen Rotwein zu trinken, französische Zigaretten zu rauchen und französische Chansons zu singen und sich zu freuen, dass seine Aussprache von Flasche zu Flasche besser und seine Stimme mit jeder Zigarette der eines Jacques Brel ähnlicher wurde. Manchmal, wenn er im Rausch des Weins und dichten im Rauch der Zigaretten für einige Stunden am Küchentisch eingenickt war, schrieb er morgens nach dem Aufwachen in seiner Katerstimmung Antwortbriefe auf Herrn Deutsches wütende Mahnschreiben und brachte diese zur Post. (In Wahrheit ging er nur zur Post, da diese sich auf dem Weg zum Supermarkt befand, in dem es Wein und Zigaretten gab.)

Herr Deutsche hingegen setzte sich mit weitaus größerer Ernsthaftigkeit mit der Lage auseinander. Und befand: Sie war tatsächlich und schlicht -katastrophal. Nicht nur seine eigenen Unternehmen, sondern auch das Unternehmen von Rudolf von S., steuerten auf eine katastrophale Zukunft zu. Er konnte seine eigenen Rechnungen nicht mehr bezahlen, auch, weil sein Hauptschuldner Rudolf von S. weiterhin nicht auch nur im Traum daran dachte, seine Schulden bei ihm zu bezahlen. Besagter Rudolf von S. war ihm ohnehin suspekt. Dank des ausgiebigen Mahnverkehrs kannte er ihn und dessen von Brief zu Brief zittrigere Handschrift mittlerweile nahezu quasi persönlich. Was er von von S.’ Qualitäten als Unternehmer halten sollte, wusste er nicht recht. Doch das war egal. Denn er brauchte Verbündete. Und zwar dringend. Denn:

Herr Deutsche hatte einen Plan.

Also ging er eines Tages bei Rudolf von S. vorbei und brachte ein kleines Fass Schnaps mit. (Ursprünglich hatte er sich zuvor telefonisch anmelden wollen, was jedoch nicht möglich gewesen war, da er, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Telekom, Rudolf von S.’ Telefonanschluss aufgrund des weiterhin ausstehenden Rechnugnsbetrags gesperrt hatte. Außerdem wohnte der ja eh um die Ecke.)

Herr Deutsche klingelte und hörte Rudolf von S. zur Tür schlurfen. Diese ging auf, und Herr Deutsche erschrak. Rudolf von S. sah so gar nicht aus wie der Typ ambitionierte Jungunternehmer. Vor ihm stand ein Jungspund mit nichts als einem Bartflaum am Kinn, er trug eine Jogginghose aus plastikähnlichem Material und ein fleckiges Unterhemd und dem Geruch nach, der von ihm ausging, musste er seit Wochen nicht geduscht haben. Herr Deutsche stellte sich kurz vor und erklärte sein Anliegen.

Er sei quasi als Privatmann, jedoch mit geschäftlichem Hintergrund, zu ihm gekommen, und müsse nun eintreten, da sie nun ein ernsthaftes Gespräch unter Männern und Unternehmern führen mussten. Während er das erklärte, rollte er bereits das Schnapsfass am entsetzt dreinblickenden Rudolf von S. vorbei über dessen Fuß in den Wohnungsflur, steuerte geradewegs auf das Wohnzimmer zu und bremste das Rollen des Fasses gerade noch rechtzeitig, kurz bevor es gegen die Wand knallen konnte. (Herr Deutsche hatte nicht gewusst, dass Rudolf von S.’ Wohnung leicht abschüssig war, und 50-Liter-Fässer in leicht abschüssigen Wohnungen schnell an Rolldynamik gewinnen.) Rudolf von S. hatte seine Fassung wiedergefunden und rief ihm nach: “Kommen Sie ruhig rein, schön, dass Sie da sind, das Wohnzimmer ist geradeaus, und Sie können die Schuhe gerne anbehalten!”

Herr Deutsche hatte derweil bereits zwei 0,4-Liter-Gläser aus seiner Jackentasche geholt, aus diesen Gläsern trank er normalerweise Cola, hatte zuhause bei der Planung des Abends jedoch beschlossen, dass die Gläser exakt die richtige Größe hatten, insbesondere, wenn pro Person 25 Liter Schnaps zu bewältigen waren. Er öffnete das Fass, füllte beide Gläser bis zum Rand, dann verschloss er es wieder und setzte sich obendrauf. Rudolf von S. schlurfte ins Wohnzimmer, seine Ankunft war längst aufgrund des lauten Raschelns des plastikähnlichen Materials seiner Jogginghose zu erahnen gewesen. Herr Deutsche drückte ihm eins der beiden randvollen Gläser in die Hand, deutete auf einen Stuhl, sagte “setzen Sie sich! Wir müssen reden.”, klirrte noch schnell zum Anstoßen sein Glas gegen Rudolf von S.’, während dieser bereits in Begriff war, sich zu setzen, und angesichts des Klirrens zusammenzuckte. Schwaches Nervenkostüm, der Junge, dachte Herr Deutsche, und dann sagte er: “So. Und nun hören Sie mir mal zu. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.”

Herr Deutsche erzählte also Rudolf von S. alles. Von ihren insolventen Unternehmen. Davon, dass das eigentliche Problem nur war, dass Deutschland so klein war, dass niemand sie brauchte. Und davon, dass sie dafür sorgen mussten, dass nicht nur hoffnungslos ins Ausland verliebte Achtzehnjährige sie brauchten. Dass sie dafür sorgen mussten, dass alle sie brauchten.

Dann zog er ein Stück Tapete aus seiner Hosentasche, das er in der Nacht zuvor von der Küchenwand gerissen hatte, um seinen Plan aufschreiben zu können (Herr Deutsche konnte sich kein neues Papier mehr leisten, nachdem er all seine Papiervorräte für das Mahnverfahren gegen von S. verbraucht hatte.) Er breitete die Tapete aus, und er erklärte von S., was er vorhatte.

Er wollte Deutschland vergrößern.

Nun war Deutschland zwar nur 357 Quadratmeter groß, doch auch ein Land von nur 18,895 Metern Länge und Breite vergrößerte man nicht so einfach über Nacht. Doch genau das – war der Plan. Von dem letzten Geld, das er aus der Liquidierung einiger Büromöbel und seiner Aquarienfische hatte generieren können, hatte Herr Deutsche eine Anschaffung getätigt. Er hatte eine Vakuumierungsmaschine gekauft. Nun handelte es sich dabei nicht um irgendeine Vakuumierungsmaschine, sondern um die größte Vakuumierungsmaschine, die jemals gebaut worden war. Die Maschine war in der nahe gelegenen Schweiz gebaut worden und eigentlich zum Vakuumieren größerer Mengen Wurst gedacht. Nun stand sie an der Grenze und sollte Deutschland – aufpusten. Auf das Tausendfache seiner bisherigen Größe. Denn die Maschine besaß einen Umkehrschalter, nach dessen Betätigung man Dinge entvakuumieren oder aufpusten konnte. Herr Deutsche hatte ihre Leistung mehrfach durchgerechnet. Sie würde wirklich nur fünf Stunden brauchen. Und er war sicher: es würde funktionieren. Es war eine sehr gute Maschine. Und Deutschland würde eine Million Mal so groß sein wie es jetzt war.

Dann endlich würden alle Menschen in Deutschland genau das brauchen, was sie anboten: Telefon, Post, Bahn, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Und Medien, um sich irgendwie ablenken zu können.

Und ihre vier kleinen Unternehmen – würden über Deutschland herrschen.

Das alles erklärte er Rudolph von S., der still und staunend neben ihm saß und einen Schnaps nach dem anderen wegkippte. Und ganz am Ende fragte er ihn: “Nächste Nacht geht es los. Bist du dabei?”

(Wie das bei Saufkumpanen und Unternehmern so ist, waren sie nach dem dritten Glas nahtlos zum “Du” übergegangen, nach dem zehnten Glas hatten sie dann Blutsbruderschaft geschlossen, weshalb noch ein Messer mit Blutspuren auf dem Tisch lag.)

Und Rudolph von S. — war “sowas von dabei”.

Zehn Sekunden, nachdem er “dabei” war, kippte Rudolph von S. von seinem Stuhl, schnarchte einmal laut und war eingeschlafen. Leise faltete Herr Deutsche seine Tapete zusammen, verschloss das fast leere Schnapsfass, legte sich auf das Sofa und die gefaltete Tapete unter sein Kopfkissen. Dann schlief auch er ein.

Als die beiden lange geschlafen hatten und der Tag längst angebrochen war, brachen sie auf. Herr Deutsche hatte den Plan, Rudolph von S. hatte das Auto, so fuhren sie zur Grenze, spazierten über die Grenze bis zu der Stelle im Wald, an der sich die Maschine befand. Herr Deutsche schloss den Luftschlauch der Maschine an Deutschland an. Dann setzten sie sich ins Gras, lehnten sich mit ihren Rücken am kühlen Metall der Maschine an und warteten, bis es dunkel war. Sehr dunkel. Dann, spät nachts, als alles schlief, schalteten sie die Maschine ein, legten den Umkehrschalter um. Und warteten.

Am Morgen danach wachten alle Menschen in Deutschland auf und wunderten sich, dass das Haus, das am Tag zuvor noch neben ihrem gestanden hatte, plötzlich nicht mehr zu sehen war. Dass sie zu jedem Horizont sehen konnten, ohne auch nur einen ihrer Nachbarn zu sehen. Dass plötzlich riesige Bäume wuchsen, wo vorher nur kleine Rasenflächen waren. Dass ihre Dosentelefone nicht mehr funktionierten. Und dass über Nacht alle Menschen, die ihnen so am Herzen lagen, sehr sehr weit weg waren.

So kam es, dass kleine Rinnsale zu reißenden Flüssen wurden, Pfützen zu Seen und Hundehütten zu Wolkenkratzern. Aus Unebenheiten im Gelände wurden hohe Berge und tiefe Täler, aus Glüwürmchen wurden Straßenlaternen. Und Zentimeter – wurden Kilometer.

Das ist die ganze Geschichte der Verschwörung zwischen der Deutschen Telekom, der Deutschen Bahn, der Deutschen Post und dem ARD.

Auf der Erde ist Deutschland jetzt eine Million Mal größer als zuvor. Alle Menschen, die man am liebsten hat, wohnen viel zu weit weg. Nur wenn man fliegt, dann ist man auch heute noch ganz schnell. Denn den Himmel, den haben die beiden damals vergessen.

Deshalb ist der Himmel, der heute über uns ist, immer noch der selbe wie damals. Damals, als Deutschland noch ganz klein war.

By L.

I walk fast.

8 comments

  1. Wäre nicht Sonntag, wäre mir nicht langweilig, könnte ich einschlafen, hätte ich das hier verpasst. Und das wäre mehr als schade gewesen. Perfekte Gute-Nacht-Lektüre. Gute Nacht.

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *