Medienkritik. Freitag, 04.12.2009, 20:15 Uhr, SAT1: Jahresrückblick 2009

Vermutlich wurden alle Terroristen und die Streitkräfte in Afghanistan in den Karibik-Urlaub geschickt, zusammen mit allen deutschen Politikern, insbesondere den Ministern zu Guttenberg und Jung, ach nee, der ist ja jetzt Ex. Der von der Opposition gewünschte Untersuchungsausschuss erklärt morgen, dass alles doch nur ein Scherz und die Vorgänge um Kundus ja vollkommen in Ordnung waren. Das Urteil im Fall Demjanjuk wird schon am Donnerstag fallen und auf lebenslänglich lauten.

Die Studenten verschwinden ohnehin in die Winterferien zum Boarden vorlesungsfreie Zeit, der FußballTennisBasketball-Wettskandal wird vollständig aufgeklärt und stellt sich als verspäteter Aprilscherz heraus. Die Schweinegrippe wird… Welche Schweinegrippe? Dass Herr Müntefering eine 40 Jahre Jüngere heiratet, ist ja zum Glück jetzt schon bekannt und kann noch unter “Promi-News des jahres” in einem 3-Minuten-Filmchen verwurstet werden.

Michael Jackson ist ja eh schon tot, allen anderen Kings of Pop wird per Dekret das Sterben untersagt. Ja gut, und Klimagipfel… sind sowieso kein Thema, dem ein Privatsender sich länger als drei Minuten in der Hauptnachrichtensendung widmen muss.

Anders kann ich es mir nicht erklären:

SAT1 hat es geschafft und ist der erste TV-Sender, der dieses Jahr mit einem Jahresrückblick aufwartet, Sendeplatz ist der 04.12., 20:15 Uhr. Präsentiert von ich-lasse-mich-von-meinen-Gästen-um-den-Finger-wickeln-und-lächle-dabei-weil-ich-ratlos-bin-Allzweckwaffe Kerner. Muss man die Auswahl der Gäste von irrelevant (Cassandra Steen, Sylvie van der Vaart, Mercedes Jadea Diaz (wer sie nicht kennt – Darstellerin bei “Wickie und die starken Männer”)) über sinnfrei (Joe Jackson, was er wohl für den Auftritt bekommt?) bis moralisch und ethisch fragwürdig (Bahia Bakari, die einzige Überlebende des Flugzeugabsturzes über den Komoren im Juni) finden? Kann man durchaus.

Ich kann außerdem verstehen, dass man nicht Anfang 2010 einen Jahresrückblick für 2009 senden will – wen interessieren Kapitel, die ohnehin geschlossen sind? Ein Jahresrückblick, 24 Tage bevor das Jahr vorbei ist, und der 6,6% des Jahres unterschlägt, entbehrt jedoch m.E. einer gewissen Sinnhaftigkeit. Und ist ein weiterer Beweis dafür, dass Medien vor lauter Jagd nach “ich war Erster” und “wir sind so aktuell” inzwischen manchmal völlig Banane sind.

Und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Teufelskreis der Zielgruppenrelevanz das Niveau der Fernsehinhalte weiter gen Nullpunkt treibt – Politik? ach was. Tokio Hotel? Ham wa da, super. Alles andere interessiert die werbetechnisch wichtigen 14-29-Jährigen ohnehin nicht. Und vom Griesbreiprogramm (nur schlucken ohne Kauen) verwöhnt, werden die immer fauler und das Programm immer mehr… ach ja: Banane. Die kann man ja auch noch mit der Gabel zerdrücken.

One comment

  1. Die verfrühten Rückblenden haben leider schon Tradition. Ich habe daheim den großen Rückblick auf die 80er Jahre. Kleiner Schönheitsfehler, dass der Fall der Mauer fehlt. Aber auch wirklich blöd wenn das spannendste in den letzten drei Monaten des Jahrzehnts passiert!

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