Es gibt da diese Kneipe, weiter unten in der Stadt. Man geht von hier aus links, dann rechts, dann sehr, sehr lange geradeaus, an der Kreuzung mit der Straßenbahnhaltestelle biegt man links ab, geht dann noch einmal geradeaus, und da ist sie dann irgendwann, auf der linken Seite. Ich bin gerne dort, das Bier ist gut, es gibt vor allem aber keine Lichterketten, Zimmerpflanzen, Polstermöbel, und wenn man essen will, liefert der Dönerladen gegenüber frei Haus. Die Telefonnummer steht auf der Getränkekarte.
Drei Mal war ich in den letzten drei Wochen dort. Jedes Mal gab es zu viel Bier und zu viele Zigaretten, außerdem kein Publikum, einen Wirt, der keine Fragen stellte, und sie beide. Beim ersten Mal hatten sie einander nichts mehr zu sagen, dafür redeten sie sehr viel, sie saßen nebeneinander, einer weinte, der andere weinte nicht und fühlte sich hilflos dabei, sie machten diese Gesten, die man so macht, wenn man in seiner Hilflosigkeit schon das Bier leergetrunken und den Bierdeckel auf kleinstmögliche Größe gefaltet hat, und dann gingen beide wieder, der eine rechts, der andere links, sie sagten Auf Wiedersehen und waren sicher, dass sie es wirklich so meinten, ohne darüber nachzudenken, für welches Leben denn genau. Beim zweiten Mal saßen sie orthogonal zueinander, sie betrachteten die Knie des jeweils anderen und bisweilen auch den Fußboden, einer von beiden trank weniger als der andere, es zerbrach ein Glas, der Wirt brachte ein neues, als sie sich voneinander verabschiedeten, sagten sie Bis bald, ohne es zu meinen, und es fuhr keine einzige U-Bahn mehr, der eine lief, der andere nahm ein Taxi nach Hause. Beim dritten Mal gab es eine Umarmung zur Begrüßung und einen langen Kuss zum Abschied und zwei Hände, die sich ineinander verschlangen, ganz langsam auseinanderzogen, millimeterweise und ohne loszulassen, von Handgelenken aus die Hände entlangstreichend, über Handflächen, Handrücken, die Finger entlang, jedes Stück Haut lesend wie eine Spur, während sie im Versuch einer Zeitlupe in entgegengesetzte Richtungen losgingen, bis sich nur noch die Fingerspitzen berührten, für den Bruchteil einer Sekunde, sie einander ein letztes Mal ansahen, ihre Arme noch kurz in der Luft schwebten, nach unten sanken, und sie ihre Blicke losrissen, und keiner von beiden sagte dabei auch nur ein einziges Wort.
Danach waren jeweils die wichtigsten Dinge gesagt.
Wie das eben so ist, wenn die Liebe geht, die Lieben aber bleiben.
Hi. Du kannst wirklich sehr gut schreiben. Jetzt bin ich aber curious: Wie heisst die Bar? Will dahin. Hoffe es ist keine “Erfindung” :-). Viele Grüsse, Jesus