Ein Debakel namens T-Aktie

17.000 Anleger vs. Deutsche Telekom.

Der Prozess, der heute vor dem Oberlandesgericht Frankfurt begonnen hat, gilt als exemplarisch. Es stellt sich vor allem die Frage: Was, wenn die Kläger Recht bekommen? Die könnte eine völlig neue Klagekultur beleben – immerhin sind Tausende von Emittenten weltweit in Börsen notiert. Was, wenn mehr Investoren auf die Idee kommen, ihre Kursverluste einzuklagen? Denn Misswirtschaft, die sich naturgemäß auf ebendiese Kurse niederschlägt, gab es nicht nur bei der Telekom. Wie weitreichend muss das Fehlverhalten der Marketingabteilung und des Vorstands sein, damit eine Klage Erfolg hat?

Einzeltitel (eine Aktie, emittiert von einem Unternehmen) gelten als Anlage für Investoren, die keine Angst haben. Es gibt Produkte, die deutlich höhere Risiken implizieren, Zertifikate und Optionen beispielsweise, “schlimm” und “gefährlich” sind Aktien per se nicht unbedingt – unter der Maßgabe, dass man die passende Anlagestrategie verfolgt. Denn langfristig gesehen erwirtschaften Aktien im Vergleich mit festverzinslichen Anlagen die bessere Rendite.

Jedoch ist ungeachtet der Anlagestrategie stets zu beachten, dass gewisse Branchen höhere Risiken mitbringen. Beispielsweise galt die New Economy bis zu ihrem Crash 2000 / 2001 als heißer Kandidat für Steigerungen ins Unermessliche. Dass große Chance auch immer großes Risiko bedeutet, realisierten die Anleger, als ihnen klar wurde, wie unendlich der Sturz solcher Papiere sein kann.

Es gibt zwei Hauptgründe, Aktien zu kaufen: Spekulation und Zeit.

Der klassische Zocker setzt auf kurzfristige Gewinnerzielung – Kauf heute zu 11,30 EUR und Verkauf übermorgen zu 11,70 EUR. Das ist ein Kursgewinn von 40 Cent. Was sich bei einem Kauf in entsprechender Höhe, man denke an 1000, 2000 Papiere, lohnt.
Zweite Möglichkeit ist die, eine Aktie zu kaufen, sie ins Depot zu legen und für die nächsten 15-20 Jahre zu vergessen. Diese Strategie schützt einen vor hohem Blutdruck und Herzinfarkten – wenn man sie nicht halbherzig ausführt. Denn wer ursprünglich mit einem Anlagehorizont von 15 Jahren investiert, dann aber täglich in der Zeitung zitternd den aktuellen Kurs seiner Papiere nachliest, kann die Wochen zählen, bis er alles wieder verkauft. Um, nachdem er sie endlich losgeworden ist, sein Leben lang nur noch “Wertpapiere? Nie wieder!” zu schimpfen, da er in den 3 Wochen Anlagedauer drei Euro verloren hat. Geduld ist hier das A und O. Aus diesem Grund wird diese Strategie häufiger jungen Anlegern empfohlen, beispielsweise verpackt als Altersvorsorge, die, je näher der Rentenbeginn rückt, sukzessive den Aktienanteil herunterfährt.

Der Grundfehler steckt im aktuellen Fall schon darin, welche Hoffnungen bei den umworbenen noch-nicht-Aktieninhabern geweckt wurden. Wer eine Aktie als “sicheres Investment”, “Volksaktie” und eine Sparanlage “zum Vererben” verkauft, schrammt kilometerweit an Anlegeraufklärung vorbei und erzählt zwar keine direkten Lügen, aber auch nicht die Wahrheit. Und wer das glaubt, rennt blindlings einem schlichten Irrtum hinterher – denn Aktie und Sicherheit sind schon per definitionem völlig konträre Begriffe. Wirbt eine Telekom dann mit Manfred Krug, der wöchentlich via TV Millionen deutscher Wohnzimmer einen Besuch abstattete, stülpt sie über das Aktienrisiko das Mäntelchen schauspielerischer Seriosität. Wen man (“)kennt(“), der erzählt einem nichts Falsches.

Und die Menge war nicht mehr zu halten.
Schon im November 1996, bei ihrem ersten Aktiengang, brachte die Telekom 713 Millionen Wertpapiere unters hungrige Sparervolk. “Sparbüchle” wurden reihenweise aufgelöst, Gelder der Familie zusammengekratzt und Aktien gekauft. Wer bisher sein ganzes Geld in festverzinsliche Bücher und maximal Sparbriefe investierte, träumte plötzlich von Märkten und Charts. Dann kommen sie, die, wie die Kläger heute dargestellt werden, “braven deutschen Bürger” – die bis dato noch nicht einmal wussten, wie man Aktie buchstabiert, geschweige denn, was Kauf- und Kurswerte sind und warum der Kaufkurs besser immer der niedrigere ist. Verführt von der Telekom. Und möchten Depots, Aktien, kaufen, kaufen, kaufen, bevor die Aktien alle weg sind.
Wer erinnert sich noch an die Wartelisten, daran, dass die Aktien schließlich zugeteilt werden mussten? Wann gab es das sonst am deutschen Markt? Eben.
Bankberater, die ihre Kunden zur Vorsicht mahnten, galten als langweilig und unmodern – der Hype, der um die Aktie gemacht wurde, galt als völlig normal. Was sich später als schmerzhaft falsch herausstellen sollte. Diese Blauäugigkeit tut heute noch weh.

Es geht um viel Geld. Kurs per 07.04.2008: 11,41 EUR. Macht die Aktie überraschend einen Sprung von 346 Prozent, erreicht sie immerhin den Ausgabekurs der zweiten Emission von 1999.
Denn jetzt stellt sich die Frage: Halten, bis dieser Kursverlust wieder “drin” ist – oder die unter Umständen schmerzhafte, endgültige Trennung vollziehen?

Zweifelsohne spielen im Prozess Fehlverhalten, -entscheidungen und falsche Einschätzungen von beiden Seiten ein. Wessen Schuld schwerer wiegt, kann wohl nie genau ermittelt werden. Es geht in erster Linie einmal um die Frage, ob bei der Emission der dritten Tranche im Börsenprospekt Fakten bezüglich der Übernahme von Voicestream in den USA verschwiegen wurde – wurde eine bereits vereinbarte Übernahme (, die den Kurs mit abstürzen ließ) den Anlegern verschwiegen oder war sie noch nicht unter Dach und Fach?
Zusätzlich zu klären ist die Rolle des Bundes in der Geschichte. Immerhin brachte die Privatisierung der Telekom knapp 34 Milliarden Euro für seinen leeren Geldbeutel. Dementsprechend geht es bei diesem Prozess und der Frage um eine mögliche Entschädigungszahlung auch für ihn um viel (Geld).

Es kommt immer wieder eine gedrückte Stimmung auf, wenn man ein Depot sieht, das noch 700, 800 EUR wert ist. Meist kann man schon ohne genaues Hinsehen ahnen, was drin ist.

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