Einem Freund

Lieber Freund,

tl;dr: du musst da jetzt durch.

Es gibt diese Art von Briefen, die man Leuten meist dann schreibt, wenn sie aus dem eigenen Leben verschwunden oder tot sind. Genau deshalb gibt es da ein paar Sachen, die ich dir einfach sagen will, jetzt, wo du da bist und sie lesen kannst. Ich weiß, dass du diese Seite mal in deinem Feedreader hattest. (Dass du statt meiner Texte trotzdem lieber Hacker News liest, weiß ich auch.)

Letzten Dienstag am frühen Abend hast du angerufen, du warst gerade auf dem Weg nach Hause. Es war nichts passiert, auch sonst nichts Besonderes, wir haben uns den Tag erzählt, dann aufgelegt, du wolltest noch einen Film sehen und irgendetwas programmieren, es war also alles wie immer. Ein paar Stunden später haben wir uns doch noch einmal Nachrichten geschrieben, und erst da begriff ich, wie es dir eigentlich ging. Genauer: dass es uns beiden aus praktisch identischen Gründen beschissen ging. Das war der Abend, an dem ich anfing, diesen Brief zu schreiben.

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Wir kennen uns jetzt seit siebeneinhalb Jahren. Weißt du noch, damals™, als wir uns noch in ICQ schrieben, und uns in dem Restaurant trafen, bei dem ich erst viel später kapiert habe, dass sein Name übersetzt Einbahnstraße heißt? Unsere Spaziergänge oberhalb des Dorfs, in dem du damals noch wohntest, und unser Urlaub 2008, als wir mit meinem Auto über die Alpen ans Meer geheizt sind und uns durch Italiens Weinregionen getrunken haben? Unsere WG-Zeiten, als wir zusammen Twitter ausprobiert und uns fast ausschließlich von Nudelauflauf und Eis aus der Eisdiele gegenüber ernährt haben, die Nutellabartgeschichte, in der du der wichtigste Protagonist überhaupt warst, und der Abend, als ich in mühevoller Kleinarbeit gefüllte Champignons erst zubereitet und dann mit Schwung gegen die Wand geklatscht habe? Oder später, als du mein Klavier nach Berlin transportiert hast und wir zusammen an die Ostsee gefahren sind, wo es einen Pub mit deinem Namen und auf der Speisekarte des griechischen Restaurants eine eigene Seite für “Gerichte mit Ananas” gab?

Es ist viel passiert seitdem, und man kann ganz ohne Drama oder Übertreibung sagen: wir haben in all den Jahren verdammt viel verdammt große Scheiße zusammen durchgestanden (ich erspare dir hier eine Aufzählung, du weißt genauso gut wie ich, was ich alles meine). Und es war nicht immer alles leicht zwischen uns. Im Gegenteil. Wir hatten unsere Kämpfe, miteinander, umeinander, und obendrein hatte jeder von uns für sich manchmal Mühe, sich selbst irgendwie über Wasser zu halten.

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Was ich an unserer Freundschaft besonders mag, ist, dass wir einfach wissen, dass wir füreinander da sind, egal was passiert. Ohne uns dessen ständig versichern zu müssen. 98% unserer Freundschaft kommen ohne Geschwafel aus, ohne permanente Zuneigungsversicherungen, und die restlichen zwei Prozent, die sind dann auch ok. Aber was ich noch viel mehr mag, und was ich erst vor gar nicht allzu langer Zeit begriffen habe: dass wir so verschieden und einander doch so ähnlich sind.

Ich meine, hey, du machst deine Nerdsachen, die ich großartig finde, von denen ich aber ungefähr nichts verstehe; ich mache meinen Textkram, von dem du gut findest, dass ich ihn mache, dem du aber so gar nichts abgewinnen kannst. Du liebst München, das ich nicht so recht mag, ich lebe in Berlin, das du nur auf Stundenbasis erträgst. Und das alles ist okay. Jeder von uns hat seins, und wir treffen uns irgendwo in der Mitte, da, wo wir uns einig sind. Zum Beispiel darin, dass wir unsere Rückzugsmöglichkeiten brauchen und Menschen nur eine begrenzte Zeit lang ertragen.

Weißt du eigentlich, was du mir bedeutest? Du hast mir ein paarmal echt den Arsch gerettet, was aber noch viel wichtiger ist: wie oft du da warst, wenn es mir richtig beschissen ging (und es gab Zeiten, da war das ziemlich oft). Du warst der, der mich noch mochte, wenn ich mich selbst nicht mehr ertragen konnte, der mich wieder aufgebaut hat, wenn alles zu viel war und der immer an mich geglaubt hat, wenn ich gar nicht mehr weiter wusste.

Bei allem, was war, und erst recht bei allem, was hätte sein sollen, aber nicht wurde: du warst immer der Erste, der davon erfuhr. Der mich in allen Aggregatzuständen, mit allen Sorgen, Nöten, Idiotien und Baustellen kennt. Jahrelang haben wir täglich telefoniert, wir hatten das nie geplant, irgendwann war es einfach so. Auf die selbe Weise hörte es auch irgendwann wieder auf. Aber als ich einen neuen Handyvertrag gemacht habe und einen Anbieter wählen durfte, zu dem ich kostenlos telefonieren kann, war trotzdem klar, dass es deiner sein würde. Seit wir nicht mehr zusammenwohnen, ist aus einem “lass dich mal drücken” eben eine virtuelle Umarmung geworden. Dass du einfach viel zu oft viel zu weit weg bist, kann ich trotzdem nicht gut finden. Aber da du nie hierher ziehen wirst und ich nie dahin, wo du wieder hin willst: wir könnten einfach auch in den nächsten Jahren mal eine Weile gemeinsam ins Ausland gehen, irgendwohin, wo keine Menschen sind. Oder irgendwo anders hin (nur München ist keine Option. Echt nicht).

Das alles klingt ganz schön egoistisch, jetzt, wo ich das so lese. Andererseits, vielleicht gehört es dazu, dass man eine Freundschaft auch darüber definiert, was man bekommt.

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Das alles hier schreibe ich dir, um dir mal wieder vor Augen zu führen, was für ein großartiger Mensch du bist. Weil ich weiß, dass du genau das manchmal nicht so recht glauben magst. Ich habe da dieses eine Foto, das du mir mal geschickt hast, und jedes Mal, wenn ich es sehe, könnte ich mich wegschmeißen vor Lachen. Und allein dafür (neben all den anderen Sachen, die du kannst und machst und denen, die du sein lässt, weil du sie gerade nicht kannst) bist du für mich einer der besten Menschen, die es auf diesem Planeten gibt. Und auch wenn das nicht viel ist: vergiss es nicht, über dem Zweifeln an dir.

Jetzt bist du schon seit einiger Zeit weit drüben im Westen und arbeitest jeden Tag mit vielen schlauen Leuten, die den ganzen Tag tolle Sachen machen. Das ist die Art von Leuten, die es so wirklich, wirklich drauf haben, und dann auch noch ständig mit ihren Erfolgen im Fernsehen, im Radio und in der Zeitung sind, weil sie auf einem Gebiet unterwegs sind, das keiner so richtig versteht, für das aber alle Lösungen brauchen (das ist übrigens das selbe Gebiet, auf dem du unterwegs bist, mein Lieber, und das sind Leute, die dich eingestellt haben, weil sie gut finden, was du machst. Das aber nur so am Rande). Das kann sehr inspirierend, anspornend, herausfordernd sein. Andererseits kann es einen ganz schön fertig machen, besonders, weil es einem auch ständig die eigenen Unzulänglichkeiten vor die Nase hält.

Du bist so viel besser, als du glaubst.

Trotzdem sage ich dir jetzt nicht, dass du an dich glauben sollst, wir wissen beide ziemlich gut, dass das worthülsener Blödsinn ist. Du bist gut. Nur denkst du viel zu selten daran. Und ich hoffe, dass du es zumindest teilweise und ganz langsam irgendwann begreifen kannst: dass es okay ist, dass du nicht immer sofort so schnell und so gut bist wie all die anderen zu sein scheinen. Ich wünsche dir, dass du herausfindest, was du für dich selbst willst, ohne dich mit ihnen zu vergleichen; dass dir klar wird, welcher Weg deiner sein soll, und dass du dann eine Möglichkeit findest, ihn zu gehen (wenn es dein Weg ist, wirst du sie finden).

Vor allem aber wünsche ich dir, dass du sein kannst: alleine, mit dir, und einfach so, wie du bist. Dass du dich nicht verstellen musst, um anderen zu gefallen, oder um eine Version von dir selbst zu sein, von der du glaubst, sie sein zu müssen. Dass du Zeit für dich und ohne andere Menschen hast, Zeit, in der du grumpy sein und programmieren oder gar nichts machen kannst. Ich wünsche dir, dass du zufrieden bist, vielleicht sogar glücklich, aber auf jeden Fall einverstanden bist, mit dir und dem, was du tust. Denn eigentlich ist das Beste, was mir passieren kann: dass es dir gut geht.

Letzten Dienstag hast du ganz zum Schluss, geschrieben, dass alles gut ist, so lange wir uns haben. Und das Tollste daran ist: wir haben uns.

Danke, dass es dich gibt.

xx

P.S.: Du hast echt kein Doppelkinn.

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By L.

I walk fast.

8 comments

  1. Wow! Ich bin eben über irgendeinen Twitterlink zum ersten Mal auf dieser Seite gelandet – aber dieser Text spricht echt viel von dem aus, was ich über meine beste Freundin denke. Danke dafür!

  2. … und wer kann sich noch in München wohl fühlen, wenn er in Warnemünde am Strand gestanden hat, die untergehende Sonne im Rücken und Hotel Hüxxxx vor sich ? 😉

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