Darf man maximal 23 Kilogramm irgendwohin mitnehmen, klingt das erst einmal nach wahnsinnig viel. Da sitzt man dann, vor sich die Internetseite mit den Transportbedingungen der Fluggesellschaft, und träumt vor sich hin, von einem Bett, der gesamten Kameraausrüstung, einem Laptop und, natürlich, einem riesigen Stapel Bücher. Als man fünf Minuten später den Trekkingrucksack aus der Abstellkammer ausgräbt und bei Tageslicht betrachtet, fallen sämtliche Phantasien in sich zusammen wie die bei jedem Umzug zerstörte Hoffnung, diesmal möge alles ganz einfach werden: alles ist zu groß, zu sperrig, zu schwer, auf jeden Fall nicht transportabel. Und irgendwie finde ich E-Books ja … naja, wie weiße Tennissocken: ich habe nichts gegen Menschen, die sie haben, fühle mich zu ihnen aber auch nicht unbedingt erotisch hingezogen. Schließlich nehme ich doch neun Bücher mit, die erstbesten vom sehr hohen Stapel der ungelesenen.
Und weil man bei diesem Herumwandern mit schwerem Gepäck froh ist, sobald sich ein bisschen Gewicht erübrigt, habe ich alle gelesenen Bücher unterwegs ausgesetzt. An der Stelle, an der ich ein Buch zu Ende gelesen habe, habe ich manchmal ein Foto gemacht und aufgeschrieben, wie ich es so fand. Und das sieht dann so aus:
Tino Hanekamp – So was von da
Inhalt: Eine Silvesternacht auf St. Pauli, die letzte große Sause in einem ab Neujahr geschlossenen Club. Alle Typen, die man sich so unter Protagonisten für ein Buch auf St. Pauli vorstellen kann, kommen vor, und spielen ein Stück zwischen Party, Beziehungsdramen, Volltrunkenheit, Sex, Tod und der ganz großen Liebe. Komisch, traurig, wie permanent leicht angetrunken erzählt. Das Lied zum Buch: Tom Waits – Waltzing Matilda. Wertung: Ein schönes, ein gutes Buch. Im Nachgang völlig ineffizient, das Buch mitzunehmen – ich habe es binnen 10 Stunden in einem Rutsch durchgelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es ausgeht. Das “ich bin durch!”-Foto entstand so gegen 4 Uhr nachts. Und: ich habe häufig laut gelacht beim Lesen. Leseempfehlung: unbedingt!
Helmut Krausser – Einsamkeit und Sex und Mitleid (Zitronenkekse nicht im regulären Lieferumfang enthalten)
Inhalt: Paare, Singles, Familien in Berlin, aus allen sozialen Schichten und Ecken, aber alle immer auf der Suche, nur wonach, das wissen sie selbst nicht so genau, und immer am Rande der Zerstörung, im Zweifelsfall ihrer selbst. Krausser bringt am Ende Sachen zusammen, bei denen man sich vorher noch fragte, wie um alles in der Welt das gehen soll. Es geht. Wahnsinnig gut sogar. Das Lied zum Buch: Element of Crime – Finger weg von meiner Paranoia. Wertung: ein tolles Buch. Leseempfehlung: ja!
Wolfgang Herrndorf – Sand
Inhalt: Nordafrika, 1972, seltsame Ereignisse in einer Hippie-Kommune, eine Polizei zwischen Bordellbesuchen und Verdächtigungen, die Vertreterin einer Kosemetikfirma: Herrndorf zeichnet Biografien, webt sie in eine große Geschichte ein und am Ende steht eine Düne. Zitat: “Excuse me, can you tell me where to find the tourist information?” Wertung: Großes Kino. Leseempfehlung: Sicher! (Und wer “Tschick” von ihm noch nicht gelesen hat, möge das doch nachholen. Bitte. Danke.)
Finn-Ole Heinrich – Räuberhände
Inhalt: Zwei Freunde kurz vor dem Abitur, eine Gartenlaube und eine Reise. Freundschaft, Liebe, Tod, die große Stadt und ein bisschen Poesie – der Autor fährt die großen Themen auf. Wertung: Ich hasse Coming-of-Age-Romane (erwähnte ich das?). Diesen hier fand ich trotzdem gut, der Autor hat einen schönen Blick auf die Dinge. Deshalb: Leseempfehlung: Och, schon.
Rainald Goetz – Rave
Inhalt: Kneipen, Clubs, Fincas mit Pool (viele). Alkohol (mehr). Drogen (am meisten). Dazwischen schwitzende Menschen. Zitat: “Excuse me, can you tell me where I can find the tourist information?” Wertung: Ehrlich, ich habe mich durch das Buch förmlich gequält. Vermutlich bin ich weder hip noch Bohème noch intelligent genug, um mit diesem Meisterwerk eine transzendentale Vereinigung einzugehen. Oder ich hatte nicht ausreichend Drogen konsumiert. Das ärgerlichste Buch auf der Reise – nach einer Woche war ich mit den anderen 8 durch. Dieses habe ich, immer noch unbeendet, wieder mit nach Hause getragen. Leseempfehlung: Nä.
Rafael Horzon – Das weisse Buch
Inhalt: Der erfolgreiche Unternehmer, Universitätsgründer, Nichtkünstler und Erneuerer der Modeindustrie Rafael Horzon erzählt aus seinem großen Leben. Nicht mehr und nicht weniger. Aber mit Schwarzweißfotografien! Zitat: “Seine Wirkung auf Frauen war hypnotisch. Als wir an einer Tankstelle etwas zu essen kaufen wollten, ging er hinein. ‘Warte, du hast doch gar kein Geld!’, rief ich ihm hinterher. Durch die Fensterscheibe sah ich, wie er zwei große Einkaufstüten mit Süßigkeiten volllud und damit zur Kasse ging. Wortlos sah er die Kassiererin an. Die Kassiererin sah ihn an. Dann öffnete sie die Kasse, ohne den Blick von ihm zu wenden, griff blind hinein und gab ihm eine Handvoll Scheine. Als wir auch noch vollgetankt hatten und hupend und mit quietschenden Reifen losfuhren, kam sie aus ihrem Häuschen heraus und winkte uns mechanisch hinterher.“ Wertung: Hahahahahaha. Leseempfehlung: Total.
Rose Ausländer – Regenwörter (Foto: Spoiler)
Inhalt: Jaha: Lyrik. Wir sollten ja alle mehr Gedichte lesen. Diese sind ganz zart, manchmal fast durchsichtig, und mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Zitat: “Meine Wege führen ins Wunder.” Wertung: Diese Texte lesen sich gut, einerseits, und doch schafft man nicht mehr als einige wenige davon am Stück, andererseits, weil sie hängenbleiben, auf der Strecke zwischen Augen und Kopf kleine Markierungen hinterlassen. Leseempfehlung: bitte!