Genussrechte

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Die Idee ist, dass uns die Person auf der Bühne unterhalten soll. Die Idee ist, dass wir für diese Unterhaltung Geld bezahlen. Die Idee ist, dass wir alle lachen und gut drauf sind, damit wir vergessen, wer wir sind, und dafür haben wir schließlich bezahlt.

Dann soll da der Mensch sein, mit dem wir unser Leben verbringen wollen, den ganzen langen Rest, weil wir denken, dass da ein Mensch sein muss, mit dem wir unser Leben verbringen wollen. Darum haben wir Verabredungen, die darin bestehen, dass wir einen Abend lang über zwei Glasränder hinweg eine Wetteranekdote nach der anderen bemühen, ohne je wirklich bei dem anzukommen, worum es einem eigentlich geht, das fällt uns zwischendurch kurz auf, als wüssten wir, worum es eigentlich geht, den Gedanken verwerfen wir gleich wieder, wir wissen doch eh nicht, worum es eigentlich geht, wir müssen es auch nicht wissen, wir sehen einander eh nie wieder, wozu auch, wir reden ja doch nur übers Wetter. Also nehmen wir jemanden mit nach Hause, knutschen im Hausflur, ein bisschen Wildheit muss dabei sein, wir beweisen uns, dass wir das noch können, Sex ist auch so eine Sache, die man rein technisch nicht verlernt, das Radfahren der Erwachsenen, wir finden geil, dass wir das noch können, dass da zwei Körper sind, die funktionieren, mehr ist da nicht, aber hey, wir sind jung, und wir können das, wir haben es einfach drauf, wie wir einfach alles drauf haben, dann noch ein bisschen aufeinander liegen, nassgeschwitzte Körper, und da vorne ist die Tür.

Dann die Leere, wenn jemand geht, mit dem man gerade noch Haut an Haut lag.

Die Leere wollen wir füllen, also suchen wir wieder jemanden für mehr als eine Nacht, vielleicht auch für mehr als zwei, es muss auf jeden Fall jemand sein, mit dem wir nicht übers Wetter reden, wir verlieben uns niemals wahllos, sondern so, dass wir immer die Falschen erwischen. Also spazieren wir am Fluss entlang, vertreiben uns die Tage und die Nächte, wir gehen in die Clubs und feiern die ganze Nacht, bis uns die Haare im Nacken kleben, bis es so heiß ist, dass Kondenswasser von der Decke tropft, und wir tanzen, bis der Moment kommt, in dem auch der Letzte das letzte Bier bestellt, bis wir nichts mehr rauchen und nichts mehr trinken können, und dann müssen wir uns fragen, was wir nun anfangen, mit unseren leeren Händen ohne Bierflasche und Zigarette, mit dem Mund ohne Alkohol und Nikotin und ohne Worte, die eines Gegenübers bedürften.

Dann die Frage, was wir anfangen, alleine mit uns.

Also ziehen wir die Schuhe aus und laufen barfuß zur U-Bahn und unsere nackten Füße hinterlassen kleine Spuren im Neuschnee. Alles, was bleibt, ist das bisschen Musik, das der Kopfhörer noch hergibt. Und nicht einmal die Musik weiß, was wir denn noch tun sollen, wenn niemand anders mehr da ist. Wir zögern die Heimfahrt hinaus, tingeln durch U-Bahn-Stationen, hören scheißtraurige Musik, wir wollen nicht mehr fluchen, wir wollen uns an eine gekachelte Wand lehnen, langsam zu Boden rutschen, am Bahnsteig sitzen und weinen. Das macht man nicht. Was wir machen, ist: wir steigen in die Bahn, zu all den anderen Helden der Nacht, wir blicken starr geradeaus und sehen den Fliesen an den Wänden im U-Bahnhof nach, wir steigen aus, wir steigen um, irgendwann ist es unausweichlich, Endstation, Fahrgäste bitte alle, aussteigen, müde die Treppen hochsteigen.

Dann das Morgenlicht.

Vögel zwitschern, es hat geregnet, wir wissen nicht, warum und wann, es interessiert uns nicht, wir wollen nur noch nach Hause. Wir wollen nur noch nicht nach Hause. Der Körper ruft nach einem Bett, der Kopf weiß, dass eine stille Wohnung ohne Geräusche das letzte ist. Das ist der Grund, warum so viele Menschen gut schlafen können, wenn der Fernseher läuft.

By L.

I walk fast.

2 comments

  1. Das sind die Nebenwirkungen von der Verfügbarkeit von allem, was uns umgibt. Die macht krank, die macht einsam, sie macht nicht nur entscheidungsfaul, sondern entscheidungsfürchtig. Also doch lieber nur über’s Wetter reden, sonst könnte es ja ernst werden. Und einander Kennenlernen sollte man auch eher im Blitzlicht eines Clubs, denn sonst könnte man einander ja noch sehen (und berühren). Die Erkenntnis am Ende deiner Odyssee hat was.

  2. Das hat Rhythmus, das hat einen traurigen Sound, das ist ein Text, der auf der Bühne steht und alle sehen zu ihm hinauf, weil er sie glücklich machen soll. Aber der Text liest sich allein und lässt dabei alles andere zurück.

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