Schreiben ist Selbstverteidigung.

Ich kaufe Blumen, um ihnen beim Sterben zuzusehen.

Die welken Blüten breite ich auf dem Boden in meiner Wohnung aus und lege mich zu ihnen. In den Zimmerecken liegt der Staub, an der Decke feine Spinnweben. Um die Mittagszeit geht die Sonne von einer Seite des Raumes auf die andere, malt eine leuchtende Spur auf den Boden.

Manchmal öffne ich die Fenster der Wohnung und höre die Vögel. Sie sagen kein Wort, doch ich weiß, sie fliegen davon. Manchmal gehe ich zwischen den Zimmern auf und ab, um das Knarren der Dielen zu hören.

Manchmal mache die Musik ganz laut und die Augen ganz zu.

Das Gute an Tagen ist, dass man schon um null Uhr sicher sein kann, dass sie in vierundzwanzig Stunden vorbei sein werden.
Und doch ist immer wieder alles anders, und alles ist jeden Tag neu. Wenn es früh am Morgen klingelt, stehe ich auf, öffne dem Tag die Tür und lasse ihn herein, ich gehe um ihn herum, betrachte ihn von allen Seiten. Ich ziehe ihn an wie fremde Kleidung und fremde Schuhe, ich sehe nicht in den Spiegel, denn ich weiß, auch dieser Tag steht mir nicht, ich verlasse die Wohnung. Und versuche, mich zu bewegen, in diesem Tag, der auf meiner Haut kratzt und von meinen Hüften gleitet. Ich binde ihn mit einem Gürtel an mir fest, damit ich ihn nicht verliere, ich versuche zu gehen in diesen Schuhen, die zu klein sind, ich stolpere, fange mich wieder, gehe weiter und tue so, als wäre nichts. Und ich tu so, als wär ich frei. 

Frei von diesem Tag, diesem Fremdkörper, der mich umhüllt.

Wenn es Abend wird, fällt er von mir ab; als käme ein Wind und wehte ihn weg von mir wie Blätter von einem Baum. Und was von mir bleibt, ist ein nacktes Gerüst für die Farben der Tage, die Geräusche zwischen Erde und Wolken, für das Licht von Sonne und Mond, für alle Wörter dieser Welt.

Die Sonne geht morgens später auf als sonst und abends früher unter, die Wolken ziehen schneller, die Luft riecht nach Regen, auf einmal liegt ein Ahornblatt auf dem Fußboden wie eine Notiz, eine Erinnerung daran: dass es herbstet.

Manchmal denke ich, alles, worauf wir warten, ist jemand, der uns Kakao kocht und uns tröstet, der weiß, wie man Nudeln macht und eine Bierflasche mit einem Feuerzeug öffnet. Jemand, der keine Liebesbriefe schreibt.

An stürmischen Tagen öffne ich die Fenster und lege mich auf den Bauch und höre dem Wind zu, wenn er über meinen Rücken streicht.

Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Fluss und führte ins Meer.

Manchmal überlege ich: wenn kein Gehirn in den Köpfen der Menschen wäre, was wäre dann wohl darin. Wofür wäre Platz, hingen Bilder an den Wänden, gäbe es einen Parkettboden und Blumen auf einem Tisch, oder Stühle und eine Kaffeemaschine. Ich glaube, manche hätten sehr grausame Farben und Bilder an den Wänden, sie hätten Schreibtische und Rechenmaschinen und Konferenztische, oder etwas, was sie für Kunst hielten, sie hätten Marmortische und alles Widerliche dieser Welt in ihren Köpfen. An und für sich brauchen wir vielleicht doch alle das selbe und das einzige, was uns alle voneinander unterscheidet, ist, welche Farbe wir den Dingen geben.

Wäre mein Kopf ganz leer, dann wäre in der rechten Ecke ein Klavier und ein Klavierhocker mit einem dunkelgrünen Samtbezug, und ein Bett in der Mitte des Kopfraumes. Und da wäre ein sehr großes Fenster, es wäre an der Decke, und wenn man im Bett läge, läge man genau unter dem Fenster und könnte den Himmel sehen. Manchmal käme ein Mann zu Besuch, der säße auf dem grünsamtenen Klavierhocker und spielte einen Akkord in ges-moll, und er spielte ihn so lange, bis mir schwindlig würde, weil das Klavier ganz nah an meinen Ohren wäre. Ich glaube, in meinem Kopf wäre immer Musik. Und ich wünschte, in meinem Kopf wäre es schön.

Nachts sind die Füchse in der Stadt. Sie laufen dicht an den Häusern, im Schatten der Wände, manchmal sieht man ihre kleinen Köpfe durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne huschen oder einen Abdruck ihrer Pfoten auf einem Stück Erde. Sie sind viele, sie alle sind auf dem Weg, und ich weiß nicht, wohin sie gehen.

Meine Hände suchen etwas, das noch zu fassen ist, und greifen ins Leere an jedem Tag, an dem jemand fehlt. Es sind viele Tage. Meine Augen suchen einen Menschen, auf dessen Haut sie sich legen können, in dessen Haaren sie verweilen und in dessen Blick sie bleiben wollen, jemanden, bei dem sie ruhig werden. Mein Mund sucht nach Wörtern, die noch irgendetwas sagen, ich forme Buchstaben mit meinen Fingern und male Silben auf das Stück Himmel, das ich durchs Fenster sehen kann, die Silben schweben, ein Luftzug trägt sie fort und ich weiß niemals, wie sie heißen.

Manchmal schlafe ich auf dem nackten Boden. Wenn ich nicht schlafen kann, wandere ich durch die kalte Nacht, bis meine Finger klamm sind vor Kälte, ich kaufe am Bahnhof einen Kaffee für einen Euro, er schmeckt scheußlich und es macht mir nichts aus.

Bei Nacht ist die Stille meine Musik.

Manchmal ist da dieses Gefühl von Egalheit, das sich in mir ausbreitet und meinen Blick vernebelt. Jemand steht in der U-Bahn neben mir und stinkt nach Schweiß und Kotze und Alkohol und jemand tritt mir auf den Fuß und jemand telefoniert und ist wichtig und früher hätte ich dann gerne gebrüllt oder wäre rausgerannt oder hätte geschrieen oder wenigstens Kopfhörer aufgesetzt. Jetzt ist es mir egal.

Ich bin auf der Suche: nach einem Schlüssel, dem richtigen Ton, einem Feuerzeug, dem letzten Euro, einer Bushaltestelle, nach einem Herzen, das an meines pocht. Doch immer zu suchen ist nicht schön. Man möchte auch mal nach Hause.

Ich setze mich draußen auf die Straße und warte auf den Regen, wenn er da ist, bleibe ich, bis das Wasser aus meinen Haaren tropft, dann gehe ich in die Wohnung, setze mich auf den Boden und höre, wie sie abtropfen.

By L.

I walk fast.

4 comments

  1. chapeau!
    ich koche dir einen kakao und tue sieben löffel rein. er wird ganz süß, so süß, dass er beim umrühren fast im löffel sitzen bleibt. du musst wenigstens einen löffel voll trinken.
    gut, dass du weiter schreibst.

    herzlich

  2. “Bei Nacht ist die Stille meine Musik.”, und die kann manchmal unglaublich laut und drückend sein. Kennst du diese schweren, schwarzen Sommernächte? Da halte ich es manchmal nicht aus, wenn ich den Kopf in diese Stille dort draußen stecke.
    “Manchmal ist da dieses Gefühl von Egalheit,” und man verblasst langsam, auf eine ganz eigenartige innerliche Weise. Das dauert sicher seine Zeit, und man wartet und wird zunächst glashell, und durchlässig, doch letztenendes beige und trüb, wie feines Pergament, das zu lange in der Sonne lag. Und genau so brüchig.
    “Und ich wünschte, in meinem Kopf wäre es schön.”
    Das wünsche ich mir auch.
    Danke.
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