(Dann hab ich auch) Zwei.

Vor, zurück, vor, zurück.

Ich lass die Beine baumeln und guck auf die Straße. Da fährt ein Junge auf einem super Fahrrad vorbei. Es ist schwarz und ein bisschen rot, und macht die ganze Zeit “sssssssst”. Ganz drüben, auf der anderen Straßenseite, ist eine … eine … A – po – t – heke. Ah, Apotheke. Seit ich meine Brille hab, kann ich richtig weit gucken.

Es ist warm heut, und ich hab meine coole kurze Hose an. Lara findet die ganz toll, hat sie mir mal gesagt. Und ich finde Lara toll. Aber das … hab ich ihr nicht gesagt. Lara ist nämlich in meiner Klasse und total klug. Manchmal sagt sie so Sachen wie ich wär gern ein Vogel, dann könnte ich fliegen, wohin ich will.

Ich hab mir überlegt: Ich will kein Vogel sein. Wenn ich groß bin, will ich ein Boot. Dann muss ich nie an Land. Nur wenn ich mal aufs Klo muss. Ins Wasser pinkeln macht man nämlich nicht.

Eine Taube rennt über die Straße, ich glaub, die will zu der Eispfütze. Das Hörnchen ist kaputt, und ein weißer See schwimmt auf der Straße. Die Taube rennt und rennt und rennt, aber es kommt ein Kinderwagen und rollt übers Eis und die Taube fliegt schnell weg. Das Kind im Wagen schreit. Die Frau, die den Wagen schiebt, telefoniert.

Vielleicht hört das Kind ja auf mit brüllen, wenn es ein Eis kriegtl. Ich hatte grad auch eins, das war total riesig und voll lecker. Blauer Engel, das ist meine Lieblingssorte, weil die so blau ist und so lustig schmeckt.

Boah! Ein kleiner Junge, der hat einen Roller! So einen will ich auch, sage ich zu Mama. Nee, ich sag’s doch nicht. Sonst guckt Mama wieder so.

Wie sie immer guckt, wenn ich frage, ob ich was haben kann. Kurz bevor sie sagt Schatz, das geht nicht, das weißt du doch.

Vorhin hatte Mama ihre Sonnenbrille auf, da konnte sie nicht gucken. Da waren wir Eis essen und sie hat den Eisverkäufer angelächelt, ich hab’s genau gesehen. Ich glaube, deswegen hat das Eis auch nichts gekostet. Dann saßen wir in der Sonne, und sie hat ihre Haare aufgemacht und die Augen zu.

Mama hat ihre Sonnenbrille oft auf.

Zwei kleine Jungs in Buggys, hihi, der eine sagt die ganze Zeit da, da, da, und lacht ganz lustig. Der hat so blonde Locken wie ich auch, aber er hat ganz wenig Haare. Meine Haare sind viel toller. Die hab ich nämlich von Mama. Mama hat ganz lange Haare.

Und Mama riecht gut. Immer so ein bisschen nach Butterkeksen und Apfel und Zü … Zimt.

Eine Frau auf einem Fahrrad, alle rollen durch die Stadt heute, keiner läuft. Sie hat einen Blumenstrauß auf dem Gepäckträger. Vielleicht rast sie so, damit sie schnell zuhause ist. Mama sagt, Blumen muss man immer schnell ins Wasser stellen, sonst gehen sie kaputt.

Ich fand Blumen schon immer doof.
Und jetzt find ich Blumen noch viel viel doofer als vorher. Weil die so … weil die so tot sind. Oma hat auch überall Blumen, aber die gehen nie kaputt. Ich hab sie mal gefragt, warum, da war ich noch klein und hab so blöde Sachen gefragt. Da hat sie gelacht und meine Haare gewuschelt. Und gesagt, die sind aus Plastik, mein Kind.

Plastik.

Ich stecke die Hand in meine Hosentasche und gucke.

Oma sagt auch immer, man guckt mit den Augen, nicht mit den Händen.

Stimmt aber gar nicht. Man kann mit den Händen viel besser gucken. Und dann sieht man viel mehr als mit den Augen. Zum Beispiel jetzt.

Ich mach die Augen zu und seh trotzdem, dass mein kleines Segelboot da ist. Das darf ich nicht verlieren. Es ist nur ganz klein und weiß und aus Plastik. Damit du weißt, dass ich immer bei dir bin, hat er mir ins Ohr geflüstert. Jetzt weiß ich nicht, ob ich das noch glauben kann. Aber ich denk schon. Manche Sachen muss man glauben, wenn man nicht mehr nachfragen kann. Glaub ich.

Puh.

Ich muss husten. Mama raucht, und das mag ich gar nicht.

Letzte Ferien war ich ganz lange bei Oma. Als wir angekommen sind, bin ich erstmal aus dem Auto und hab eingeatmet. Bei Oma ist ganz viel Luft. Und viel Gegend, Oma wohnt nämlich in den Bergen. Als sie gesehen hat, wie ich atme, hat sie gelacht und gefragt, was los ist. Da hab ich’s ihr erzählt, dass Mama so viel raucht, grade. Dann hat sie ein bisschen genauso geguckt wie Mama jetzt immer. Und gesagt, ich soll ein bisschen Nachsicht mit Mama haben.

Ich weiß nicht, was Nachsicht ist.

Ich kenn Kurzsicht. Das hab ich nämlich, deshalb brauch ich auch die Brille. Und ich kenn Vorsicht, aber ich weiß nicht, ob das das Gegenteil von Nachsicht ist. In den Ferien bei Oma hab ich Sichtwörter gesammelt. Rücksicht gibt es, und es gibt auch noch Fernsicht, und Absicht. Absicht mach ich aber nie. Ok, fast, aber nur, wenn jemand mich ärgert. So wie Milo. Der ist schon in der Vierten und voll groß und echt stark. Und bei dem mach ich auch Absicht.

Ich bin nämlich auch groß und stark.

Da läuft ein alter Mann, sein Stock klopft immer ganz laut, wenn er auf den Boden kracht. Wie bei Opa. Opa seh ich fast nie, aber damals hat er mich mit zum See genommen.

Dort hat er sich mit mir auf eine Bank gesetzt. Und gesagt, du musst jetzt ganz ganz stark sein, mein Junge. Ich hab gesagt, aber ich bin doch schon stark, und hab ihm meine Armmuskeln gezeigt. Da hat er gelacht, aber es war kein richtiges Lachen, mehr so ein leises haha.

Dann hat sich mit der flachen Hand auf die Brust geklopft, da, wo das Herz ist. Da drin musst du stark sein.

Da hab ich ihn angeguckt. Ist das … wie in der Werbung? Die Kraft der zwei Herzen? Ja, hat Opa gesagt, ungefähr so ist das. Aber ich hab doch nur eins, jeder hat doch nur eins, oder? Da hat er den Kopf schräg gelegt und so mit dem Kinn hin und her gewippt und gesagt, ich hol dir einen Keks.

Einer für ihn, einer für mich. Opa biss von seinem Keks ab. Krümel fielen in seinen Bart.

Da ists mir eingefallen.

Opa, ich glaub, ich hab’s.
Wenn ich das Segelboot von ihm
immer in meine Brusttasche stecke, guck, so.
Hab ich ihn immer dabei.

By L.

I walk fast.

One comment

  1. Einfach wunderschön!
    Aus dir wäre ein toller kleiner Junge geworden
    Zum Glück ist es doch ne Frau geworden. Wenn auch nicht minder toll 😉

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