Kurzzug hält mittig

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Du nimmst das lange Brotmesser vom Tisch, schneidest noch eine Scheibe Brot ab und fragst, wie das Wetter draußen ist, du streichst Butter auf das Brot, ich sage, es ist ganz schön, nur der Wind ist so kalt, aber das ist nicht schlimm, denn die Sonne scheint. Du sagst mhm und streichst Leberwurst auf das Butterbrot.

Du öffnest das Gurkenglas, leckst deine Gabel ab, piekst sie in eine Gurke, ziehst sie heraus, schüttelst sie über dem Glas. Essiggurkenwassertropfen fliegen über den Tisch. Du legst die Gurke auf deinen Teller, hältst sie mit den Fingerspitzen deiner rechten Hand fest, mit der linken schneidest du sie in dünne Scheiben.

Ich beobachte deine Bewegungen mit dem faszinierten Blick eines Forschers, der Affen dabei zusieht, wie sie mit einem Stöckchen Ameisen aus ihrem Bau treiben. Während ich dich beobachte, wie du die Gurke schneidest, merke ich, dass auch dein Mund sich bewegt, es ist der Mund eines Fisches, der Luftblasen macht, dein Mund macht Geräusche, ich sehe sie in einer Wolke durch den Raum schweben und die Wolke aus Rauschen wird immer größer, ich versuche, aus dem Rauschen Wörter zu lesen, du redest mit der Tischdecke, deine Wörter sammeln sich auf ihrem Karomuster, ich kann nicht erkennen, was du sagen willst, und ob ich es bin, die gemeint ist, plötzlich hörst du auf, zu reden, dein Mund bleibt zu und im nächsten Moment sind die Wörter verschwunden. Du siehst auf und sagst, und wenn wir gerade dabei sind, morgen Vormittag kommt der Schornsteinfeger, du hast da doch Zeit.

Du öffnest die Orangensaftflasche und gießt Saft in dein Glas, du machst die Flasche wieder zu, ich sage, danke, dass du fragst, ich habe noch, ich ziehe meine Knie unter mein Kinn und fahre mit meinen Fingern wie mit einem Kamm durch meine Haare. Ich sehe aus dem Fenster. Das Müllauto fährt über die Kreuzung und der Mann mit dem großen Hund schleicht wie jeden Tag um diese Zeit geduckt zwischen den parkenden Autos entlang. Sonst ist nichts los, es ist kurz vor Weihnachten, da fängt keiner mehr an, die Welt zu verbessern, das macht man im neuen Jahr, bis dahin hält man sich beschäftigt mit Grünzeug in Höhe eines mittelgroßen Grundschulkindes, das ist gut zum Zeitvertreib. Man beschäftigt sich mit dem Grünzeug, das gekauft, eingepackt, transportiert, aufgestellt, stabilisiert, gewässert, geschmückt, mit Geschenken unterlegt, beleuchtet, besungen, umgeworfen, wieder aufgestellt, entschmückt, abgebaut, verpackt und entsorgt werden will. Also das Grünzeug. Kaufen wir dieses Jahr eigentlich einen Tannenbaum, frage ich, ich hätte gerne einen. Warum das denn, fragst du, du bist doch eh nie zuhause, das nadelt nur die ganze Wohnung zu. Ich sage, das stimmt natürlich, Schatz, du hast Recht. Dann schweigen wir.

Manchmal ploppt das Schweigen zwischen uns auf wie ein Windows-Systemupdate, das erst ganz klein rechts unten in der Taskleiste herumhängt, da kann man es noch ignorieren, das ist die Zeit, in der wir noch über die Wetteraussichten für die nächsten drei Wochen auf den Falklandinseln reden. Dann wird das Schweigen zu einem riesigen Pop-up-Fenster in der Mitte des Bildschirms, erst lässt es sich noch wegklicken, irgendwann geht das nicht mehr, da kann man nur noch auswählen, ob man in 30 Minuten oder in 4 Stunden den Rechner neu starten will. Und man weiß genau, sobald man den Rechner neu startet, wird das Update wieder an irgendeiner Stelle etwas kaputtgemacht haben, und die Aufgabe ist dann immer, herauszufinden, was es alles kaputtgemacht hat. Jedes Mal, wenn wir uns wieder für Stunden anschweigen, geht etwas kaputt. Und je häufiger unser Schweigen so groß ist, dass es sich nicht mehr übersehen lässt, frage ich mich, was wir uns überhaupt zu sagen haben und ob nicht doch ein neuer Rechner besser wäre.

Du sagst, heute Abend kommt Wetten, dass …?, die letzte Sendung mit Thomas Gottschalk, und ob noch Chips im Schrank sind. Ich sage, ja, aber nur die mit Paprikageschmack, und es sind noch Erdnüsse da, als ich das mit den Erdnüssen sage, bist du nur noch einen Schritt vom Schrank weg, du siehst mich nicht an, du siehst nach den Erdnüssen.

Weißt du, was ich dir zu sagen habe? Manchmal habe ich dir zu sagen: verschwinde dahin, wo der Pfeffer wächst und wo die Pinguine wohnen, fahr doch mal ans Ende der Welt und bleib einfach da, geh für ein, zwei Jahre Zigaretten holen oder Sandkörner zählen in der Sahara, und warst du eigentlich schonmal in New York, auf Hawaii und in San Francisco, in zerrissenen Jeans? Buch doch mal ein One-Way-Ticket zu dem Planeten, wo du herkommst, auf dem Weg dahin kannst du gleich in der Milchstraße den Bürgersteig kehren.

Du schließt die Schranktür, das Schloss schnappt zu, du setzt dich zurück auf deinen Stuhl, er quietscht, als du näher an den Tisch rückst, du streichst mit der Handfläche über die Tischdecke und sagst, wusstest du, dass man Möbel, die man selbst zusammengebaut hat, mehr wertschätzt, das nennt man übrigens Ikea-Effekt. Ich betrachte

das Abtropfgitter
die Badmöbel
das Bett
den Bettkasten
die Deckenlampen
die Garderobe
den Hocker
den Inbusschlüssel
den Kleiderschrank
die Küchenzeile
den Küchentisch
die Nachttische
die Regale
den Sessel
den Schreibtisch
die Schreibtischlampe
den Schreibtischstuhl
die Schubladen
das Sideboard
das Sofa
die Stühle
die TV-Bank
die Vorratsschränke
die Wäschetruhe

und ich sage, nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.

Du setzt den Deckel auf das Gurkenglas und drehst ihn so lange, bis es nicht mehr weitergeht, dann nimmst du deine Gabel, spießt die Gurkenscheibchen einzeln auf und steckst sie in deinen Mund, du kaust, siehst die Tapete über meinem Kopf an und es riecht nach Essiggurkensaft.

Manchmal habe ich dir zu sagen, weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben, hättest du mich damals gefragt, ob ich dich heirate, ich hätte nicht ja gesagt, ich hätte es hinausgeschrieen in diese Stadt, in diese Welt. So einfach war das. Mir war egal, woher du kommst, wie viele Frauen du vor mir hattest, alles, was ich wusste, war, dass du gut bist, zu mir, für mich, alles, was ich wusste, war, dass ich will, dass das mit uns für immer ist. Wir sind jung, weißt du, wie lange noch? Nur dumme Herzen sind vernünftig, also sag mir, wie lange wir noch klug genug sind, um unvernünftig zu sein. Das alles habe ich dir damals nicht gesagt, ich wollte dir meine Gefühle nicht aufdrängen. Du hast ja nicht danach gefragt.

Du streichst Erdbeermarmelade auf die Leberwurst und wirfst das Brot auf den Boden, es fällt nicht auf die bestrichene Seite, dann stehst du auf, steckst die Hände in die Hosentaschen und gehst.

By L.

I walk fast.

8 comments

  1. Liebe ist nicht selbstverständlich! Ick wees Binsenweisheit, aber egal!
    Danke für die schönen Texte!
    Lg

  2. Wow. Irgendwas an deinem Tonfall, an deiner Art zu schreiben zieht meinen Blick deine Zeilen entlang. Ich musste laecheln, aber ich weiss nicht mehr, wo oder warum.

    Sehr schoen!

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