Nichts is(s)t so, wie es scheint – ein Plädoyer für Schönheit und Plätzchen, gegen Diäten und Frauenzeitschriften


Ich hätte es bleiben lassen sollen.

Doch “Die 50 besten Plätzchenrezepte” (Schneeflocken mit Earl Grey Tea! Zimtsterne! Plätzchen mit Marmeladenfüllung!) lockten dann doch zu sehr… Ich habe in einer Frauenzeitschrift geblättert.

Es war furchtbar kalt draußen, es regnete, ich hatte kein Geld, mich in ein Café zu setzen und bin in der Stadtbücherei gelandet. Hach, und all diese schönen Menschen, dieser Glanz, diese Sinnlichkeit, Erotik, Anziehungskraft, Schönheit, Gloria. Models mit geschürzten, Lipgloss-beträufelten Lippen, Schlafzimmerblick, dickem, glänzendem Haar, Beinen wie Streichhölzern und hohen Wangenknochen in von einem Stylistenheer zusammengestellten Kleidern – da bedarf es gar keinen persönlichen Feindbildes (siehe Post vom letzten Sonntag) mehr, um das Gefühl zu entwickeln, dass man “die neue Diät-Sensation!”, “die besten Schminktipps für schöne Lippen” und “Yoga: Das Programm für eine schlanke Silhouette” dringendst benötigt – und doch besser die Finger von den Plätzchen lassen sollte.

Der Zwiespalt, die offensichtliche Bigotterie, sind himmelschreiend – und werden doch kaum wahrgenommen. Frauenzeitschriften wie die obige leben davon, ihren Leserinnen wundervolle Plätzchen und dazu gleich noch die passende Diät zu verkaufen, damit sie den (möglicherweise auch nur eingebildeten) angefutterten Winterspeck wieder loswerden können – dass deren Erfolg sehr zweifelhaft ist, steht dann nochmal auf einem anderen Blatt, pardon, in einer anderen Zeitschrift (“Stiftung Warentest – Der große Diättest” lässt grüßen).

Frauen mit Oberschenkeln wie Hühnerbeine, die gürtelbreite Miniröcke und Ausschnitte bis zum Bauchnabel tragen und mit eingefallenen Wangen traurig (gewollt, natürlich) in eine Kamera blicken:
Ist das schön? Finden Männer das anziehend? Frauenzeitschriften werden ja doch meist von Frauen gekauft, auch wenn inzwischen “liebe Leserin, lieber Leser” im Editorial steht. Ist das sexy? Oder wird uns da etwas suggeriert, als bare Münze verkauft, das doch nur verkaufen (Diäten, größere Kleidung,…) hilft?
Es geht ganz klar in erster Linie darum, sich selbst zu gefallen, sich in seiner Haut wohlzufühlen, selbstbewusst man selbst zu sein. Doch natürlich ist da auch noch der mal größere, mal kleinere Punkt, dass man sich nicht nur selbst gut, ok, bestenfalls und an guten Tagen schön finden will. Frauen wollen auch gefallen, dass Männer sich nach ihnen umdrehen, wollen anziehend wirken. Denn wer spricht schon mal mit Männern darüber, was denen wirklich gefällt? Dass dann quasi alles locker-flockig als “damit werden Sie unwiderstehlich” (für wen eigentlich?) verkauft werden kann, ist nur logisch.


Es gibt Bilder, die brennen sich ein.

Die wird man nicht mehr los. Und diese Bilder hält einem an schlechten Tagen das eingebaute (oder doch erlernte?!) schlechte Gewissen vor: “Da, guck dir die mal an!” Man beginnt, mit sich selbst, seiner Figur, seinen Klamotten, seinem Charakter, seinem Kaktus und seiner Wohnungseinrichtung zu hadern. Solche Tage enden unter Umständen im Pyjama vor dem Fernseher, einer Bridget Jones-DVD (Bridget = Heldin aller wahnsinnig(komisch)en Frauen) und der Erkenntnis, dass man zum Glück nicht alleine mit seinen ab-und-zu-Selbstzweifeln ist – auch wenn man diese Zweifel in dem Moment nur mit einer fiktiven Romanfigur teilt.

Ein großes deutsches Unternehmen, das Körperpflegeprodukte produziert, hat eine “Initiative für wahre Schönheit” initiiert, um etwas gegen diese Zweifel und den sie verursachenden Wahnsinn zu tun. Dazu gehören einige Filme, in denen deutlich wird, mit wie vielen und wie drastischen Bildern wir heute bombardiert werden – und was diese in Kindern, Jugendlichen, die sich ihrer selbst doch ohnehin meist nicht sicher sind, anrichten können (Link – sehenswert!).
Jedoch frage ich mich, inwieweit da ein gewisses Rechtfertigungsverhalten dahinter steckt, – gehört es doch zu einem großen Konzern, dessen Hauptgeschäftsgebiet die Produktion von Fertigprodukten gehört, die wiederum (Glutamat und seine Schwestern lassen grüßen) als weder gesund noch schlank haltend gelten. Mir fehlt da ein großes Stück Glaubwürdigkeit.

Der Einfluss von Medien auf das Verhalten von Menschen, vor allem Kindern, ist längst erwiesen, und immer noch gelten gerade Zeitschriften, die häufig ein verschobenes, unnatürliches Schönheitsideal propagieren, als Mitauslöser schwerwiegender Persönlichkeitsprobleme bei Frauen allen Alters – Selbstzweifel und -kasteiung im 14-tägigen Abo frei Haus – “nutzen Sie unsere Abonnement-Vorteile”. Und wir verstehen es nicht! Es ist zum aus-der-Haut-Fahren!
Denn was tun wir angesichts dessen? Wir konsumieren, lassen uns genau diese dermaßen auffällig blödsinnige Kombinationen in Medien jeder Gattung regelmäßig servieren, “unsere nächste Ausgabe am kommenden Montag”, und bemerken es nicht.

Mich macht das Ganze nicht nur deshalb so wütend, weil ich weiß, wie unwahrscheinlich weit all das Menschen treiben, dass es sie an ihre Grenzen, psychisch und physisch, bringen kann. Ich könnte auch deshalb schreien, weil wir es nicht begreifen, weil diese Thematik sich nicht nur auf dürre Models bezieht. Unser gesamtes Medienverhalten ist so konsumorientiert, dass wir nur noch schlucken und nicht mehr nachdenken. Da wird schnell alles, was publiziert, gedruckt, gesendet wird, vom Buchstaben zum Wort zur Wahrheit. Das ist Fastfood – schnell, leicht zu kriegen und zum Herunterschlucken ohne auch nur einen Gedanken über den Nährstoffgehalt.

Es ist nun doch wie immer ganz einfach. Ob Öl, Kraftstoffe, McDonald’s-Futter, BILD-Zeitung oder Brigitte – so lange Diesel getankt und Auto mit 13 Litern auf 100 Kilometer gefahren, gelesen und gekauft, Plätzchen gebacken und danach fleißig Diät gemacht wird, ändern wir nichts – nicht an der Medienlandschaft und erst recht nicht in uns, unseren Leben.

Der Änderungsansatz, den ich für mich sehe:
Nicht kaufen.
Plätzchenrezepte in der Bücherei abschreiben und weglegen.
Vor allem: Meine Kinder mit einem anderen Medienbewusstsein erziehen, ihnen klar machen, was auch in diesem Video (Link – genial: 30 Kilo in 3 1/2 Minuten) deutlich wird: Was für wunderschöne Illusionen Photoshop und Co. zaubern können. Wie leicht es doch ist, Menschen mit Bildern zu täuschen. Und zu guter Letzt werden sie eines immer wieder hören:

Schönheit liegt nicht im Antlitz – Schönheit ist ein Licht im Herzen.

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