Ok

Es ist Freitag, ein lauer Sommerabend. Es ist der Abend der Fête de la Musique, das ist das, wo alle hingehen. Die Stadt tanzt. Ich hatte einen anstrengenden Tag und bin auf dem Weg nach Hause, laufe durch eine Wolke aus Musik, fahre in der U-Bahn mit Menschen, die über Auftrittsplänen die Köpfe zusammenstecken, ich schließe die Wohnungstür auf, trinke ein Glas Wasser, höre das neue Daft Punk-Album und gehe früh ins Bett und es ist ok. Am Samstag ist eine Party bei Vollmond auf einem ehemaligen Brauereigelände. Ich trinke zwei Bier, freue mich über die beiden Liebsten, gehe noch einmal zwischen den Menschen durch, winke und grüße bisweilen, rede zwei Worte, dann sage ich tschüss, fahre nach Hause, betrachte den Mond, sehe noch einen Film und einer Mücke zu, die es durchs Moskitonetz ins Schlafzimmer schaffen will, und schlafe darüber ein und es ist ok.

Es war ein seltsam undenkbarer Augenblick an jenem Abend in einer Hängematte, mit Sonnenbrand auf der Haut, überhitztem Kopf und den ersten drei Schluck Rotwein intus, als ich eigentlich an gar nichts dachte und da plötzlich der Moment war, in dem ich begriff. Dass es zwar nicht weit ist von der Selbstgenügsam- zur Seltsamkeit. Aber was das heißt, zu wissen, dass es ein Genug gibt. Dass da ein Genug des Redens, der Umarmungen, der in ihrer scheinbaren Unauffälligkeit so aufdringlichen Zuneigungsbekundungen ist. Dass wirklich nichts muss, wenn es nicht muss. Der Moment, in dem ich meine Endlichkeit begriff: die Endlichkeit meiner Kraft, meiner Energie, meiner Kontaktfreude, meiner Lust auf Menschen, meiner Fähigkeit, Dinge auszuhalten und ihnen mit einem Lächeln zu begegnen. Mir ist klar geworden, dass ich nicht ständig mehr von mir verlangen sollte, als ich zu geben fähig bin. Dass ich nicht so sozialkompatibel bin, wie ich immer gern gewesen wäre. Dass mich das Zusammensein mit Menschen grundsätzlich anstrengt, selbst wenn ich diese Menschen sehr gern habe. Dass meine Fähigkeiten, Eindrücke zu filtern, aufgrund meiner Veranlagung meist gegen null gehen und ich deshalb viel Zeit brauche, um Geschehenes und Erlebtes verarbeiten. Und dass ich in Wahrheit eigentlich einen ganz guten Eremiten hergebe. Und es ist ok. Im Großteil der Fälle sind mir zwei Flaschen Wasser, ein wenig Essen für den Tag, ein Laptop mit Internetzugang und ich selbst mehr als genug. Der kleinere Teil der Fälle sind die Lieben. Mehr als diese Dinge brauche ich nicht, und alles, was mehr ist als das, schrammt immer am Zuviel, mit der Lautstärke eines Fingernagels auf einer Tafel.

Ich habe wieder klein angefangen: bei einer ersten Tasse Kaffee morgens, beim Beantworten ewig ungelesener E-Mails, beim Lesen ungeöffneter Briefe. Angefangen damit, nach drei Jahren die Wohnung wirklich neu einzurichten, ohne dafür Geld auszugeben. Ich habe sortiert, abgeheftet, ausgemistet, 3 Möbelstücke, die nicht mir gehören, acht rieige Säcke Altpapier, drei Kleider- und unzählige Müllsäcke weggetragen. Nach den neuen Räumen in der Wohnung folgen neue Räume in meinem Denken. Nicht zu verkaufen, nicht zu vermieten, neue Räume nur für mich.

Auf einem Paket, das ich nach langer Zeit wieder hervorhole, steht VORSICHT! Nicht zerbrechlich. Ich stelle es mitten in den Raum, greife hinein, nehme, so viel ich kann, und dann schmeiße ich das Konfetti in die Luft. Einfach so.

Ganz ok.

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By L.

I walk fast.

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