Woche woanders #2: Genialität und Heidenröslein, Talente, Google und die Steinzeit

Letzte Woche diskutierten J. und ich lange, warum Menschen eigentlich keine Blogs lesen und wie sich das ändern ließe. Passend dazu dieser Text über die fehlende Wahrnehmung von Blogs: “… all die guten Blogtexte, die etwas bewegen könnten und sollten, werden eigentlich nur für den Kreis der Eingeweihten geschrieben, nur von diesen gelesen und diskutiert, dringen aber nicht nach außen.” Word. Es gibt noch viel zu tun.

Der Max Scharnigg “Über unser Fernsehen”: “Ein bisschen ist es so, wie sich immer noch über Fast-Food aufzuregen: Der Status Quo ist kaum zu beeinflussen, aber Empörung ist trotzdem stets abrufbar, weil jeder den Unterschied zwischen richtigem Essen und einem BigMac erkennen kann.”

Schon wieder Philipp Tingler, schon wieder Sex: auf ZDF neo lief kürzlich die Sendung “Wie werde ich … gut im Bett?” mit prima Beiträgen zu Dildos aus Gemüse und irgendwas mit Tantra. “… jeder kann per Casting Show angeblich zum «Supertalent» werden … Was aber immer seltener zu werden scheint, ist echtes Talent. Talent ist schliesslich nichts Machbares. … Echtes Talent ist subversiv und synästhetisch. Es stimmt aufsässig und ironisch gegen die gesellschaftliche Ordnung … .”

Ulrike Lembkes Stück “Von Heidenröslein bis Herrenwitz“, ein erweiterter Nachtrag zu #Aufschrei. Sehr klug: “Wir orientieren uns an den Lebensentwürfen und Rollenmodellen der Menschen in unserem Umfeld. Wir können weder uns noch die Gesellschaft ohne weiteres neu erfinden. Und wenn wir überkommenen Rollenmodellen folgen, vermeiden wir Stress. Wir müssen dann in unseren Partnerschaften nicht alles ausdiskutieren und wir müssen uns nicht beständig in der Gesellschaft rechtfertigen. … Schließlich sind die romantische Liebe, die Ent-Rationalisierung von Sexualität und die Intimität als Inbegriff des Privaten immer noch höchst wirkmächtige Entwürfe. Sie sorgen unter anderem dafür, dass wir wenig darüber reden, warum es manchen jungen Frauen genügt, wenn ihr Partner mit dem gemeinsamen Sex zufrieden ist, oder warum in einer Befragung über 60 Prozent der Frauen angeben, sexuelle Aktivitäten in alkoholisiertem Zustand zu bevorzugen.”

Pause. Zeit für was Schönes, jetzt, wo es fast schon grün wird draußen: Diego Stocco – Duet for Leaves & Turntable (via Das Kraftfuttermischwerk)

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Julia Vosss über “Steinzeit für immer” als Argumentationsgrundlage gegen Emanzipation: “Je größer die Rolle von Männern in der Menschheitsgeschichte wurde, desto näher schien die Vorstellung von der Urzeit an der Wirklichkeit zu liegen. … Die Anthropologie … war das monströse Katapult, auf das man sämtliche Stereotype der Gegenwart lud, um sie zurück in die Steinzeit zu schießen. Die Hausfrauen landeten in der Höhle, die berufstätigen Männer in der Steppe.”

Ich bin ja sehr gespannt, wie das mit der Universität und mir werden soll. Dazu passend ein bisweilen arg romantischer, aber dennoch nicht uninteressanter Artikel von Prof. Dr. Klaus P. Hansen im UniSpiegel – Hochschulkultur – wie Unis Genialität verhindern: “Wir leben in einer Zeit, die von den Bedingungen her Gelehrtheit und vielleicht auch Genialität eher verhindert.”

Die famose Kate Nash wird interviewt von Daniel Gerhardt: “‘Was genau läuft deiner Meinung nach schief?’ – ‘… Alles wird bewertet und verurteilt … . Die Medien verkaufen uns ihren Starkult, wir springen total darauf an und merken gar nicht, was wir damit anrichten. Ganz normale Mädchen sehen diesen Kram, vergleichen sich damit, und am Ende fühlen sie sich wertlos.'”

Tom Henderson hat sich vor einem Jahr von Google getrennt.

Katrin Passig mit “Nachrichten an niemand Bestimmten” zu Technologiekritik: “Auch wer ein Blog betreibt oder Twitter nutzt, sehnt sich manchmal nach Waldeinsamkeit, nach weniger widerspruchsfreudigen Gesprächspartnern oder gleich nach der Abschaffung aller Kommentarfunktionen.”

Dann wären da noch diese 10 Reportagen. Das sind allesamt sehr gute Texte, die 2012 mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet wurden. Eine prima Wochenendlektüre. Mit Texten von Nataly Bleuel, Anne Lena Mösken, Michael Obert u.v.a. Besonders eindrucksvoll fand ich die Geschichten von Martina Keller (“Corinne, 43, lässt sich töten”, ab S. 27), Friederike Ott (“Hungrige Gespenster”, ab S. 79) über “Woodstock”, das Altersheim für Drogenabhängige, und von Dirk Liesemer (“Attackiert das Imperium!”, ab S. 43) über Ruppe Koselleck, der in 247 Jahren mit der Übernahme von BP fertig sein will.

Und dann noch sehenswert: die Al Jazeera-Dokumentation “Walls that speak”. Ein Portrait von Graffiti-Crews, Künstlern, Designern, die Bilder und das Leben im Libanon an die Wand bringen. “My duty as a street artist is to tell the truth and shed light on subjects no one talks about.” (via whudat)

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Satz der Woche: „Wenn jemand ein Ding hinter einem Busch versteckt, es eben dort wieder sucht und auch findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen.“ (Friedrich Nietzsche)

Rat der Woche: “Quit your job, grow a beard and make art.” (via Phil) In diesem Sinne: Schöne Restwoche!

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