Können Bots weinen? Trauer im Internet

Dirk Bach ist tot. Das ist — ja, was nun?

Wer sich länger als eine Woche in einem sozialen Netzwerk bewegt hat, kennt vermutlich die Diskussion, die sich dort mit murmeltierhaftiger Konsequenz abspielt, wenn ein Prominenter stirbt, an den Tod von Amy Winehouse und Michael Jackson erinnere ich mich da beispielsweise noch. Manchmal auch bei Unglücken, wenn viele Menschen sterben, oder womöglich auch noch Kinder.

Was dann regelmäßig geschieht, lässt sich verknappt so darstellen:

  1. Gruppe 1 drückt aus, traurig zu sein, denjenigen gemocht zu haben und jetzt schon zu vermissen. R.I.P.
  2. Nahezu reflexhaft folgen nun die Reaktionen von Gruppe 2, die fragt, ob man so überhaupt reagieren sollte und darf, die Tode gegeneinander aufrechnen (“Wie, du betrauerst Amy Winehouse? Da sind auf der anderen Seite des Planeten 20 Kinder gestorben!”) oder sich aufregen über Gruppe 1 und sie als Heuchler oder Zyniker bezeichnen.
  3. Darauf folgt Gruppe 3, die sich aufregt, dass 1 und 2 schon wieder so reagieren, wie sie immer reagieren.
  4. Woraufhin sich 1 darüber aufregt, dass 2 sich aufregt, und 2 sich über 3, woraufhin 2 wiederum …
  5. ja.

Aber wie ist das nun? Ist es legitim, online den Tod eines Prominenten zu kommentieren, gar Trauer oder Schmerz auszudrücken?

Ich kenne mich nun mit Prominenten nicht so gut aus. Aber vermutlich kannten die wenigsten derer, die seinen Tod kommentieren, den verstorbenen Menschen persönlich. Die, die ihn kannten, werden nicht die sein, die twittern.

Stirbt eine prominente Person, so ist das häufig jemand, den man “kannte”. Natürlich – es ist nicht das selbe “Kennen” wie bei einem guten Freund. Und dennoch: man hat eine Beziehung aufgebaut, womöglich sogar über Jahrzehnte hinweg. Hat seine Musik gehört, seine Filme gesehen, seine Bücher gelesen, sich gefreut, wenn er etwas Neues veröffentlichte, derjenige war Teil des eigenen Lebens über seine Werke, die einen womöglich durch entscheidende Momente begleitet haben. Er war etwas für einen, hatte eine Bedeutung, die man selbst nie für denjenigen hatte. Das ist eine ziemlich einseitige Beziehung, und lediglich eine Beziehung zu einem Bild, das derjenige in der Öffentlichkeit hatte. Aber – es ist trotzdem eine Beziehung, die man selbst als solche empfindet. Und Empfindungen sind nunmal dafür bekannt, meist recht subjektiv zu sein und sich nicht davon beirren zu lassen, dass man selbst demjenigen unbekannt war.

Das Internet ist aber auch ganz gut darin, eine Empfindungsmaschine zu sein. Eine, in der noch mehr Emotion und noch mehr Lautstärke, Capslock und Bold zählen, in der es für alles eine Steigerung gibt und es immer noch ein bisschen härter, witziger, dramatischer sein muss. Eine Empfindungs-, Erregungs-, Hype-Maschine, in der zählt, wer gehört wird

Und eine, aus der sich abmeldet, verschwindet, offline geht, wer den Lärm nicht erträgt und leise sein will.

Der zweite, m.E. wesentliche Aspekt dabei ist: trauerten vor nicht allzu langer Zeit noch ganze Dörfer um einen Verstorbenen, so ist Trauer zusammen mit den meisten Trauerbräuchen aus der Öffentlichkeit verschwunden. Sie ist zu etwas Privatem geworden. Dies begünstigt einen wesentlichen Umstand: dass viele Menschen nicht mit Verlust, insbesondere mit dem Tod, umgehen können. Wer Glück hat, hat mit 30 noch nicht einmal seine Großeltern verloren.

Und plötzlich wird einem an dieser doch eigentlich fremden Person wieder bewusst, wie schnell das gehen kann. Dass es vorbei ist, dieses kurze Ding namens Leben. Plötzlich wird Tod greifbar und nah, und man sieht sich konfrontiert mit der Aussicht, dass jeder von uns sterben wird. Eines Tages. Vielleicht ist es deshalb manchmal auch einfach eine Trauer über diesen Umstand als solches. Doch das ist reine Mutmaßung.

Trauer braucht Zeit, und sie braucht Raum. Beides ist abhängig von verschiedensten Faktoren – der Intensität der Beziehung zum Verstorbenen, den Umständen des Todes, der Frage, ob man sich verabschieden konnte und und und. Vielleicht kann auch das Internet ein neuer Raum für Trauer sein, und das ist vermutlich etwas, wofür wir in den kommenden Jahren eine Art des Umgangs finden sollten. Finden müssen. (Vgl. hierzu bspw. auch “Talking Death“, und die Thematik um unser Digitales Erbe, bspw. hier.)

Man kann das mit der Trauer nicht lernen. Jedes Mal, wenn eine persönliche Bindung zerreißt, ist es anders. Manchmal zieht es einem gleich den Boden unter den Füßen weg, manchmal ist es erst still, und irgendwann tut sich ein Loch auf, manchmal fühlt man gar nichts mehr und wenn man doch ein Restgefühl findet, ist es Kälte. Meist kann man es erst gar nicht verstehen, weil man gar nicht weiß, oder nicht mehr weiß, wie das Leben ist, ohne denjenigen, wie es sein soll ohne ihn, wie es weitergehen soll oder ob es das überhaupt kann. Es kann sein wie ein privater Weltuntergang, ein Zusammenbruch von allem. Und jedes Mal, wo man das erlebt, ist ein Mal zu viel. Ich weiß aber trotzdem nicht, ob man das werten kann. Darf. Sollte.

Wir waren 18, damals, eine gute Freundin starb bei einem Verkehrsunfall. Ich sehr traurig, so traurig, dass ich nicht weinen konnte. Mit ihren Eltern zusammen habe ich ihre Beerdigung organisiert. Es war Winter, es schneite, da drehte sich eine Bekannte bei der Trauerfeier zu mir um und sagte “du bist so eiskalt, du weinst noch nicht einmal”.

Was ich damit sagen möchte: niemand hat das Recht, die Trauer eines anderen zu verurteilen, ihm zu untersagen, jemanden zu vermissen, obwohl er ihn nicht kannte – oder ihm Heuchelei zu unterstellen. Das ist hochmütig und steht niemandem zu. Und schon gar nicht auf Basis von 140 Zeichen.

Und trotzdem: Trauer ist nichts für einen Fav, nichts für ein Like. Und Trauer kennt keine Pointe.

Aber vielleicht zeigt all das ja nur eines: das Internet gehört immer noch nicht den Bots. Es sind tatsächlich Menschen, die da unterwegs sind.

Update, 28.10.: Caroline Kliemt schreibt zu diesem Thema einen sehr schönen Beitrag. Und Jörg Eisfeld-Reschke rief zu einer Blogparade auf, in deren Rahmen viele weitere Blogbeiträge entstanden sind. Sehr lesens- und empfehlenswert.

11 comments

  1. Liebe Euer Gnaden,

    erst einmal vielen Dank für so einen Artikel. Schön, dass auch Du keine Partei (wenn man mal von dem eigentlich selbstverständlich vorhanden sein sollendem Anstand absieht) ergriffen hast.

    Ähnlich wie Du mit 18 habe auch ich vor ein paar Jahren einen meiner besten Freunde verloren, und musste zum ersten Mal erschrocken feststellen, wie unterschiedlich und zum Teil für mich auch absolut unverständlich einige aus meinem Bekanntenkreis mit dieser Situation umgehen. Damals hatte auch ich einen Blog online, und stand vor der großen Frage, ob und wenn ja, was ich ich über diesen Trauerfall schreibe. Nach kurzem überlegen setzte ich die Seite ganz einfach für eine Woche offline. Ich persönlich finde, dass das Internet nämlich keine optimale Umgebung für derartige News ist.

    Wie bestimmt auch bei Dir besuchten viele Freunde und Bekannte die meine Seite in der Erwartung auf unterhaltsame, in meinem Fall auch lustige bis satirische Artikel zu lesen. In dieser Situation möchte ich ihnen auf diesem Weg nicht den Verlust eines guten Freundes beibringen. Und es gibt immer Personen, die es vielleicht noch nicht über Telefon, SMS oder Email erfahren haben. Umgekehrt wollten evtl. auch einige ihre Neugierde stillen und Einzelheiten erfahren, aber auch das passt ganz sicher nicht zwischen zynische Kommentare zum RTL-Programm und Witze über peinliche Alkoholexzesse.

    Ich trauere für mich alleine, muss das weder durch R.I.P.-Beiträge auf Facebook oder Twitter beweisen, noch fühle ich mich verpflichtet es anderen trauernden durch Handlungen zu beweisen, und erwarte dafür nur eins: das Zugeständnis den Verlust eines geliebten Menschen auf meine Art verarbeiten zu können.

    Leider ist dies, wie Du es ja in Deinem Artikel schon beschrieben hast, nicht selbstverständlich. Besonders die, die in meinem Fall alles dafür taten, dass auch wirklich jeder ihre Trauer bemerkte, warfen mir ähnlich wie bei Dir vor, mir nichts aus dem Todesfall zu machen, einfach wieder zurück ins normale Leben zu gehen, und letztendlich so zu tun, als wäre nur der Hamster einer unfreundlichen Nachbarin gestorben.

    Es waren genau diese Personen, die sich als Beispiel im Restaurant einen Tisch für sechs Personen bestellten, um dann zu fünft dort zu essen, und den leeren Platz mit einem Foto des Verstorbenen zu besetzen. Oder aber auch auf deren Webseiten Nachrufe zu schalten, und sogar Jahre später auf Partys ein Foto unseres Freundes aufzuhängen. Ich persönlich kann diese öffentliche Trauer nicht verstehen, um ehrlich zu sein, sie ekelt mich sogar an. Aber man sollte grundsätzlich jedem seinen eigenen Weg der Trauer zugestehen. Daher habe ich deren Verhalten auch nicht kritisiert. Das ausgerechnet diese Personen sich später auf mich einschossen, verstehe ich zwar nicht, bewerte es aber auch nicht über.

    Unterm Strich bleibe ich aber dabei, dass Nachrufe für Freunde & Familie auf Facebook, Twitter, Fussball-Seiten, oder wie in meinem Fall, auf satirischen Blogs nichts verloren haben. Darüber hinaus halte ich die Posts zum Tod von Promis (was ja heute sicherlich der Anlass für Deinen Beitrag war) als reines Betteln um Aufmerksamkeit. Ein „R.I.P.“ gepaart mit dem Namen als Hashtag sagt doch eigentlich schon alles, oder?

    LG

  2. J e d e /r auf Twitter will mit seinen Tweets Aufmerksamkeit. Und zwar egal, ob zum Thema Essen, Sex, Nutella oder eben Promi-Tod.
    Das. ist. Twitter.
    Und ich gebe, wenn ich Lust und/oder eine Meinung habe, meinen Senf dazu. Nicht mehr und nicht weniger. SO einfach.

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