Jeden Sonntag gehe ich morgens in einen Kiosk um die Ecke und kaufe zwei Zeitungen, die zusammen 6,50 € kosten, die Zeitungen klemme ich mir unter den Arm, meist lese ich schon im Gehen, auf dem Weg in ein Café. Da sitze ich dann immer, so lange, bis ich alle Artikel gelesen habe. Der erste Artikel, den ich heute schon unterwegs las, obwohl die Zeit wirklich ein unhandliches Werk ist, das “Netzthema der Woche”, trug die Überschrift “Twittern ist Kunst” und war ein Interview mit Paulo Coelho.
Und auch wenn ich kein Fan seiner Bücher bin, was Herr Coelho da sagt, sind einige sehr kluge Dinge. Also wollte ich ihn gerne zitieren, natürlich nur wenige, kurze Auszüge und mit Quellennennung. Ich hatte sogar schon die Seitenzahl herausgesucht, hatte gerade auf “add new post” geklickt und mir eine Überschrift ausgedacht, – als ich innehielt.
Darf ich das überhaupt noch? Eine Zeitung zitieren, einfach so? Ist das nicht schon verboten, selbst wenn ich die Quelle nenne? Ärgernis, dein Name ist Leistungsschutzrecht (und noch nicht einmal die Rechtschreibkorrektur will dieses Wort akzeptieren). Ich entscheide mich, diesen Artikel doch zu schreiben, da das Interview die Perfidität dieses Themas so hübsch illustriert. Diesen Text hier nicht zu schreiben, wäre ein Eingeständnis an etwas, das ich immer noch nicht nicht verstehen und begreifen kann.
Der Teaser zum Text (Die Zeit Nr. 27/2012, S. 45) kündigt an, Coelho feiere die “digitale Revolution – mitsamt ihren Folgen für den Buchmarkt”. Er sagt:
“Jede technische Revolution schafft eine Plattform für eine kulturelle Revolution”.
Das klingt sehr schön; liest sich im Laufe des Interviews allerdings mit zunehmendem Befremden. Da ist einerseits Coelho, der die Zukunft erklärt und mit Leidenschaft den Nutzen des Fortschritts propagiert. Andererseits sind da die beiden Interviewer, die immer wieder versuchen, ihn in ihre “das macht alles kaputt”-Schiene zu ziehen. Natürlich auch anhand des Klassikers, des roten Tuchs derer, die ihre Felle davonschwimmen sehen: Piraterie. Leider erläutert Coelho dann, dass Piraterie nicht erst mit dem Internet erfunden wurde, wie sie sich durch kluge Strategien sogar vermeiden lässt und behauptet noch obendrein, Piraterie sei nicht schlecht.
Er negiert noch nicht einmal, dass es auch Verlage braucht (auch – nicht ausschließlich). Doch vor allem hat er die Macht und die Mechanismen von Internet und insbesondere sozialen Netzwerken begriffen. Er begreift sie als Bereicherung, als Erweiterung seiner Publikationsmöglichkeiten, sieht sogar seine Blogeinträge (und seine Tweets!) als Teil von Literatur und als Kunst und fordert gar, der Wandel müsse weitergehen. Der Mann muss doch völlig verrückt sein.
Es ist ein ganz einfacher Mechanismus: Coelho hat begriffen – und nimmt ernst, was dort passiert, zieht für sich Konsequenzen daraus, versucht gar nicht erst, die Erfindung des Buchdrucks diese “kulturelle Revolution” zu verhindern, sondern nimmt ernst, was online passiert und zieht für sich Konsequenzen daraus. Produktive Konsequenzen.
Ich habe jetzt gar keine Lust, die Kommode der Gegenargumente mit Schubladen wie “der Coelho kann sich das auch leisten, der hat ja Geld” aufzumachen. Nee. Die Gegenargumente sind eh stets die selben, dazu haben viele andere schon viel Besseres geschrieben. Mein Job hier ist vor allem, mich zu wundern.
Die beiden Journalisten, Maximilian Probst und Kilian Trotier, sind übrigens mit ihren 33 und 28 Jahren noch nicht einmal zusammengenommen so alt wie der 64-jährige Coelho. Und er ist es, der den beiden das Internet und die Zukunft anpreist. Das ist tragisch.
Dass allein an deren Fragestellungen irgendetwas seltsam ist, fällt einem erst im Lauf des Interviews auf: wenn die Interviewer von Angst reden, von Furcht, Ramschpreisen, vom Überleben in dieser neuen Welt. Irgendwo hat man doch diese Vokabeln schon häufiger gehört. Man weiß auch bald, wo, und das ist das Traurigste an alledem: dass man sich hier geriert nach dem drei Affen-Prinzip, sich geriert, als ginge einen das alles nichts an, nicht einmal in Betracht zieht, geschweige denn zugibt, dass sich alles, was in diesem Interview gesagt wird, — 1:1 auf die Zeitungsverlage übertragen lässt. Der Artikel erscheint in der Rubrik “Netzthema der Woche”, und ich bin wahrlich viel in diesem Internet™ unterwegs: ich hatte den Eindruck, im “Netz” war die Buchbranche eher weniger “Thema”.
Und, mal ehrlich: diese Grabenkämpfe an einer Front, die längst viele Kilometer weiter ist, dieses pseudo-elitäre, bornierte, realitätsferne, ewiggestrige
Video killed the radio star-Denken –
ist doch kalkulierter Selbstmord auf Raten. Nein, vielmehr: es ist ein Kamikaze-Programm: wenn wir schon sterben, sollen wenigstens so viele wie möglich mit draufgehen.
Erklären – kann man das alles nicht, dafür fehlt der Thematik mittlerweile auch die Rationalität, denken Sie nur an das rote Tuch und die davonschwimmenden Felle.
Ich erinnere mich, dass ich einmal über jammernde Verlage und Paid Content bloggte und für zwei Zeitungen schrieb – darüber, was die Zukunft des Journalismus sein kann.
Leider fällt mir dann auf, dass das inzwischen über zwei Jahre her ist und so viel nichts passiert ist seitdem.
Alles, was mir bleibt, ist: mich zu wundern.
So verwundert erinnere ich mich daran, was ich hier ursprünglich schreiben wollte. Was Paulo Coelho übers Schreiben sagt:
Wenn du anfängst zu schreiben oder zu tanzen, dann machst du das aus Überzeugung. Du machst das, weil du es machen musst. … Und wenn du Geld machst, dann deshalb, weil dein ganzes Herz in deinem Werk steckt. Und selbst wenn du kein Geld verdienst, … dann arbeitest du trotzdem weiter.
Ja.
–
Update 11.06.: Das Interview ist mittlerweile auch online zu finden. Dass ich es jetzt nicht verlinke, liegt ja irgendwie auf der Hand.
.
Sehr schön. Und so wichtig! Und ein bisschen erinnert es mich an die Diskussion, die seit Jahren (nur nicht so medienwirksam) in der Open-Source-Szene diskutiert wird.
Kannst Du den flattr-Button größer machen als den Facebook-Button?