Wenn ich glücklich bin, kann ich nicht schreiben, seufzt du der Rauhfasertapete entgegen.
Ich könnte dir antworten und will es nicht. Wollte ich dir antworten, könnte ich dir erzählen, warum das so ist. Ich könnte dir sagen, dass die Sehnsucht immer erfüllender ist als das Glück. Weil die Idee vom Glück immer schillernder, bunter, gewaltiger sein wird ist als das Glück selbst. Aber dir das zu sagen, wäre zu einfach.
Denn das Glück kommt in kleiner Erscheinung um die Ecke, trägt einen Hut tief in die Stirn gezogen und einen dunkelgrauen Trenchcoat mit hochgeklapptem Kragen. Das Glück raucht zu viel, es trinkt zu viel, es hat zu viele Falten für sein Alter, das Glück hat einen miesen Humor und es hat manchmal Mundgeruch, und wenn es erst da ist, ist es so unspektakulär, dass man sich manchmal kneifen muss, um in seiner Anwesenheit nicht einzuschlafen. Und es verschwindet stets genauso schnell, wie es gekommen ist. Weil es so unscheinbar ist, dass man es schnell aus den Augen verliert.
Stell dir eine Seifenblase vor, könnte ich sagen, die größte Seifenblase, die es auf der Welt gibt. Stell dir einfach vor, die Welt wäre eine einzige Seifenblase. Und diese Seifenblase ist deine Sehnsucht. Du kannst ihr folgen, ihr hinterherlaufen, du kannst rennen, und wirst sie doch nie erreichen. Das ist es, was die Sehnsucht mit dir macht. Sie hält dich am Laufen, am Atmen, am Hoffen, am Leben.
Das Glück dagegen, es muss dich nicht am Leben halten. Es muss manchmal auf der Straße an dir vorbeigehen, ein unscheinbarer Passant vor unscheinbaren Fassaden, um dich ab und zu daran zu erinnern, wie es sich anfühlt, wenn eine Sehnsucht sich erfüllt. Dann kann es wieder gehen und dich deinem Sehnen überlassen.
Das ist der Grund, warum man nicht schreiben kann, wenn man glücklich ist.
Das ist ganz einfach, aber ich sage es dir nicht. Denn ich weiß, wenn deine Zeit gekommen ist, wirst du es selbst verstehen.
Während ich warte, dass deine Zeit kommt, gehe ich durch die Stadt und es ist, als könnte ich auf Wasser laufen. Es steht überall, in tiefen Pfützen, es rinnt die Straßen hinunter, es wohnt in meinen Schuhen, es wohnt in meinen Augen. Die Häuser sind grau, ich lege den Kopf in den Nacken und suche einen Himmel und alles, was uns geblieben ist, ist das Grau der Häuser, der Straßen, der Autos. Weil es keinen Himmel mehr gibt.
Da ist kein Blau mehr in den Straßenschluchten, nur manchmal schimmert es durch die Haut auf meinen Lippen. Wusstest du, dass das die Stelle an unserem Körper ist, an der unsere Haut am dünnsten ist?
Die Stadt macht mich dünnhäutig und ich kann sie nicht mehr ertragen. Ich beginne, die Tiefe der Schlaglöcher zu vermessen, und wünsche mir, ein U-Boot zu sein. Ich möchte am Grund kratzen, ich möchte überall auftauchen können, und ich brauche ein Guckrohr, um vorher sehen zu können, ob die Luft rein ist. Die Luft hier stinkt.
Überall fliegen die Tauben, vor den Cafés hüpfen die Spatzen. Wenn ich die Augen schließe und den Kopf in meine Hände lege, höre ich die Stimme des Tonbands in der U-Bahn, das die nächsten Stationen ansagt. Nächster Halt Berlin Hauptbahnhof. Ich träume von Brandenburg. Ich träume von Feldern, von Himmel, von Bäumen. Die Stadt hat mich erschlagen, und alles, was von mir geblieben ist, ist ein Körper zwischen anderen Körpern in viel zu vollen U-Bahn-Waggons. Ich ersticke an ihrem Geruch.
Ich bin eine Hülle im luftleeren Raum dieser Stadt, ich bin, praktisch gesehen, nur vakuumiert, nur wüsste ich nichts, was die Leere zu füllen vermöchte. Denn alles, was jetzt bleibt, sind die Wörter, die mich von Litfaßsäulen anschreien, die tausend Bilder, die mich anspringen, die Gerüche, die sich in meinem Kopf festsetzen. Das kalte, abgegriffene Metall der Stangen in den Bahnen, das Wasser der Spree, die heißen Schlagzeilen, die Bilder von Brüsten und Beinen, von Bikinis und Bäuchen. Alles, was bleibt, ist ein Lebensgefühl wie Kaufhausmusik.
Manchmal schreibe ich Texte wie goldene Türklinken. Ich tue Dinge, die keiner braucht, und ich tue sie nur, um etwas zu haben, das ich wegwerfen kann.
Ich kaufe Orangen, ich wiege sie in meinen Händen und stelle mir vor, wie ich sie gegen Wände werfe. Ich möchte alles nehmen, was ich greifen kann, dazu das, was ich nie begreifen werde, ich möchte es gegen Wände donnern, zum Fenster hinauswerfen, möchte das Klirren hören, ich will es zerspringen sehen, dann möchte ich einschlafen und morgens in den Trümmern der Welt erwachen.
Dann drehe ich die Musik so laut, dass ich mein Herz nicht mehr klopfen hören kann. Und wenn es Nacht wird, setze ich Kopfhörer auf meine Ohren und tanze durch die Wohnung. So lange, bis ich schlafen kann. Herzensfroh ist kein Glück. Herzensfroh ist, was bleibt, wenn das Glück gegangen ist.
Herzensfroh ist nur ein Wort.
Ein wunderbarer und berührender Text. Grossartig geschrieben. Herzliche Gratulation und besten Dank dafür.
Liebe Grüsse und einen schönen Tag
Toll.