[Spurensuche nach Filmkonsum. Oder:]
Notizen zu Konsumkritik & Anklagen gegen die Werbung
1) Adbusters
Vor 20 Jahren, als es noch Fußballstadien gab, die nicht den Namen eines Sponsors trugen, und als noch nicht mehr und mehr Universitäten “Partnerschaften” mit Unternehmen eingingen, wurden in Vancouver die Adbusters gegründet. Diese non-profit-Organisation mit derzeit ca. 83.000 Mitgliedern sieht sich “global network of culture jammers and creatives working to change the way information flows, the way corporations wield power, and the way meaning is produced in our society“. Mit ihren Aktionen, bei denen sie z.B. durch Verfremden oder Umgestalten Werbung lächerlich oder in ihrem Sinn verfremden, kritisieren sie die Konsumgesellschaft. Einer ihrer Hauptkritikpunkte ist, dass man sich Werbung in kaum einem Lebensbereich mehr entziehen kann: Visuelle Umweltverschmutzung.
2) Olivero Toscani – Die Werbung ist ein lächelndes Aas
Die Werbung ist ein lächelndes Aas nannte der italienische Fotograf Olivero Toscani seine 1999 veröffentlichte Abrechnung mit der Werbebranche, deren gefeiertes Kind und vieldiskutierter Star er selbst jahrelang gewesen war. Ab Mitte der 1980er Jahre bis 04/2000 arbeitete er, von dem das Zitat “Man kann nie zu weit gehen” überliefert ist, für Benetton – eine schlagzeilenträchtige Zusammenarbeit, die Benettons Image als Marke nachhaltig prägte. Er verließ die Pfade der Produktwerbung mit nett aussehenden Models, und betrat mit seinen internationale einheitlichen Kampagnen bewusst vermintes Terrain – manchmal im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Bilder von einem Hintern, auf den “HIV positive” gestempelt wurde, von der blutverschmierten Uniform eines getöteten Soldaten, einem Kuss zwischen einem Mönch und einer Nonne, zum Tode Verurteilten u.a. provozierten, – er wollte “die öffentliche Meinung dort kratzen, wo es sie juckt“. Sein Buch ist eine einzige Anklage und ein Rundumschlag: Gegen die Geldverschwendung, mangelnde Intelligenz, gegen Rassismus, Diskriminierung und die Darstellung der Welt als idealisiertes “Paradies” – ohne Armut, Ausländer und Arbeitslosigkeit. Geschrieben von dem selben Mann, dem folgendes Zitat zugeschrieben wird: “Die größte Werbekampagne der Menschheitsgeschichte wurde von Jesus Christus lanciert. Sie lief unter dem universellen Slogen “Liebe Deinen Nächsten”. Und sie hatte ein bemerkenswertes Logo: Das Kreuz.”
3) Frédéric Beigbeder
Der ehemalige Werbetexter rechnete nur kurz später (2000) in seinem zynischen Werk 99 Francs (deutsche Version: 39,90) ebenfalls mit der Werbebranche ab. Der studierte Politikwissenschaftler war 10 Jahre lang als Texter in einer Werbeagentur tätig, kurz nach Erscheinen des autobiographisch angehauchten Buchs wurde er dort entlassen. Selbiges Buch,
4) 99 Francs // 39,90
…, wurde 2007 von Jan Kounen leicht abgewandelt verfilmt. Der Film ist ein mit Absurditäten gespickter, vor Zynismus triefender Blick auf den gierigen Riesen Werbebranche (weltweite Werbeausgaben 2007: 455,12 Mrd. USD) – und das Psychogramm eines Mannes, der genau dem zum Opfer fällt, was er gefüttert und großgezogen hat.
Octave Parango (Jean Dujardin) ist der Antiheld und das Alter Ego Beigbeders in Kounens Film, der zu Beginn in der Pose des gescheiterten Helden mit ausgebreiteten Armen auf dem Dach eines Hochhauses steht. Vor dem Bild eines glücklichen Pärchens auf einem Werbeplakat am “schönsten Ort der Welt” stürzt er sich in den Regen der dunklen Nacht. Denn: Er hat’s versaut. Und während er fällt, blendet der Film zurück, sein Leben erscheint ihm nochmal vor Augen.
Trotz seiner Anfänge als mit Akne und schiefen Zähnen und einer dicken Brille gesegneten Teenager hat Octave es geschafft, zum Top-Texter einer großen Werbeagentur zu werden: “Ich bin der, der heute entscheidet, was Sie morgen wollen. Ich bin es, der Ihren Geist penetriert und in Ihrer rechten Gehirnhälfte zum Höhepunkt kommt.“ Die Kehrseite der Medaille: Der Erfolg hat das gefeierte Genie, das innerhalb von Minuten Konzepte für Kampagnien kreiert, zum unsympathischen Zyniker werden lassen. Seine offensichtlich einzige Beziehung ist die “Freundschaft” mit seinem Art Director Charlie ist (“Das ist Charlie. Er gehört mir.“), auch der Hamster in seinem Büro scheint ihm etwas zu bedeuten; wie viel ist fraglich, da Octave ihn recht bald mit einer Überdosis Koks umbringt. Frust über langweilig-sexistisch-rassistisch-konservative Kunden (“was soll der Blödsinn? Das Mädchen ist doch schwarz… ich bin ja kein Rassist, aber so nicht! Es sei denn, wir bringen mal einen Joghurt mit Schokoladengeschmack heraus, haha.“), rauschende Partynächte (“die Stimmung gut, der DJ top, und die Mädchen heiß”) und die tiefen Abstürze danach – all das erträgt er nur noch mit meterlangen Kokslinien (“Drogen sind äußerst hilfreich dabei, sich die Lässigkeit anzueignen, die man braucht, um diese Meetings zu überleben.”). In der Agentur spricht er im Fahrstuhl seine Kollegin Sophie an: “Nein, ich bestehe nicht drauf. Mit einer Praktikantin im Fahrstuhl Sex haben, ist mir zu… Adrian Lyne-mäßig…. Ich weiß, dass ich ein relativ oberflächlicher Typ bin. Ich mag Deine Haare, ich mag Deine Augenbrauen, ich mag Deinen Dünndarm. Aber wenn Du Dich von mir küssen lassen würdest…”
Es dauert nicht lange, da ist Sophie schwanger und verlässt ihn – eine Folge seiner überbordenden Selbstverliebtheit (“Komm her, setz meine Brille auf, dann kann ich mich selbst küssen.“) und seiner begeisterten Reaktion auf die Nachricht von ihrer Schwangerschaft: “Willst Du… kein Dessert?“. Sie schickt ihm eine DVD, auf der ein Notizzettel klebt. Mit der Aufschrift: “C”est la première et la dernière fois que tu voies ta fille.” – “Das ist das erste und das letzte Mal, dass Du Deine Tochter siehst.” Es ist eine DVD mit Ultraschallaufnahmen von seiner ungeborenen Tochter. Und während er sich eine Linie Koks auf seinem dunklen Holztisch in die Nase zieht, wird das Wummern ihres Herzschlags lauter und lauter, verdichtet sich zu einer Lawine und endet in einer Partynacht. Diese Nacht ist der Anfang von seinem Ende. Nun dämmert ihm langsam, dass sein bisheriger rasanter, exzessiver Lebensstil auf direktem Wege in den Abgrund führt. Und dass er auf diesem Weg keine Möglichkeit hat, einfach die Notbremse zu ziehen. Also greift er zu drastischeren Mitteln… Schließlich beschreibt er aus dem Off, welches Monster er da erschaffen hat:
“Perfektes Glück, retuschiert mit Photoshop. Sie glauben, ich würde die Welt verschönern? Falsch. Ich mache sie kaputt.“
Der Film bombardiert die Werbung mit ihren eigenen Mitteln. Wirkt wie ein einziger Werbespot mit grell-bunten Bildern, verweigert sich jeder Moraldiskussion, serviert geradezu auf Silbertabletts die Gründe, die Protagonisten allesamt zu verachten und bietet am Ende für alle, die immer noch der Göttin Werbung und ihrem Traum vom Paradies nachhängen, sogar noch ein idyllisches Happy-End. Damit trieft zwar ein wenig viel an “Message” vom Bildschirm, doch der Film führt seine Zuschauer grandios vor – in ihrem Glauben an eine gute, heile Welt. Denn am Ende sind wir alle Gefangene der Lügen und Bilder, die wir selbst gezeichnet haben. “Nie zuvor in unserer Geschichte war das menschliche Auge so in Versuchung geführt wie heute. Man hat ausgerechnet, dass wir von unserer Geburt bis zum Tod 350.000 Werbebildern ausgesetzt sind.”
Randnotizen:
Allein ein Satz ist es wert, den Film im französischen Original (Trailer hier) anzusehen: “Mais heu… quelqu’un a dit à Steeven que c’était une pub pour la choucroute?” (“Ähm… hat irgendjemand Steeven (dem Fotografen) gesagt, dass das Werbung für Sauerkraut ist?).
Toll: Die Reaktionen von 5 Männern auf die Nachricht, dass sie Vater werden: 1. Ich bin untröstlich! 2. Fang einfach ein neues Leben an, hau ab, verswinde! 3. Ich brauche meine Freiheit, Schönheit, und von Zeit zu Zeit eine Frau. 4. Lass mich zufrieden! Ich werde alleine und wie ein Hund krepieren! 5. Lass uns einfach Freunde bleiben, Freunde, Freunde, verstanden?
Am Ende bleibt die Erkenntnis: