Zur Frage: Was wissen wir von der Welt?

“Hello, hello, turn your radio on, is there anybody out there?”

Es ist erschreckend, wie wenig wir unterm Strich tatsächlich wissen.

Wir sind keine wissen(schaf)tlich verarmte Gesellschaft, allein im Fach Physik wurden bundesweit 2006 1.185 Doktortitel vergeben, immerhin 95% der hier Lebenden können lesen und schreiben, und auch wenn unsere Bildung weitestgehend nicht aus der Bild stammt –

Was wir haben, ist Pseudo-Wissen. Dinge, die wir in einer Schule, Zeitung oder auf einer Homepage aufgeschnappt haben, die uns irgendjemand für wahr verkauft hat. Dass 1×1=1, das Alphabet 26 Buchstaben + Umlaute hat, dass der Kongo auf dem afrikanischen Kontinent liegt und dass Eisbären keine Pinguine fressen, weil sie es nicht können – weniger weil sie es nicht wollten.
Das ist alles schön für uns. Aber was wissen wir wirklich?
Wir wissen doch noch nicht einmal, warum wir schlafen – obwohl wir 1/4 unseres Lebens damit verbringen, das zu tun. Warum wir sterben, obwohl wir nach den vier Vierteln einfach nur noch tot sind. Wie das mit unseren Gefühlen eigentlich genau funktioniert und was unsere Hormone mit uns machen können. Wir wissen nicht, wie klein wir eigentlich sind und wie groß das Universum um uns ist. Wir vergessen oft genug, dass das, was wir mit unseren Augen sehen, nicht immer das ist, was wir glauben, dass es sei. Wir leben – und haben keine Ahnung, warum.
Obendrein – was wissen wir denn eigentlich über die Dinge um uns herum? Biologen gehen davon aus, dass ein Drittel aller Säugetiere unbekannt ist – 4.500 kennen wir momentan, wenn auch nicht alle persönlich.

Kinder stellen am liebsten solche bohrenden Fragen, am liebsten in einer nicht enden wollenden Reihe von “warum?”.
Der kleine Mann in Fernseher und Radio, der Nachrichten verliest und Schallplatten auflegt. Der Strom, der eben irgendwie aus der Steckdose kommt. Der Mann im Mond, der abends das Licht einschaltet, damit der Vollmond leuchten kann. Das Licht “geht halt an”, wenn man den Schalter umlegt – das sind die Erklärungen, mit denen ihnen dann ihre Umwelt nähergebracht werden soll. Und warum? Weil wir es doch selbst nicht besser wissen. Weil wir selbst keine Ahnung haben, was um uns herum passiert, wie Technik, Wetter, Natur und Himmel funktionieren. Wir wissen es nicht besser.
Halten uns aber gleichzeitig für so dermaßen altklug, allwissend, weltgewandt, wie man nur zu sein glauben kann. Schreiben mehr Bücher als eine Menschheit lesen kann, machen “Wissenschaftssendungen” im Fernsehen, auf dass das Volk endlich wisse, was ein “schwarzes Loch” (im Übrigen weder “schwarz” noch ein “Loch”). Das ist schön und gut – aber viele von uns wissen doch noch nicht einmal, wie ein Gewitter entsteht! Warum es Erdbeben gibt. Und wieso wir eigentlich sehen können. Warum beginnen wir nicht bei banaleren Themen?

Unsere Sinne. Die Klimakatastrophe. Meteoriten. Allein in Brasilien wird pro Sekunde Regenwald in der Größe von 4 Fußballfeldern abgeholzt. Die Zeit. Der Ur-Meter. 3 oder 4 Dimensionen. Das Alter von Fossilien und Dinosauriern.
Mal ganz ehrlich – wer kann sich das alles wirklich vorstellen?
Nicht nur “klar, ich weiß, das Klima ist kaputt und so”. Wer weiß tatsächlich, wie die Zeit funktioniert und wie alt eine versteinerte Schnecke ist, wer kann das ausmessen?
Wie weit reicht unser Horizont? Was ist mit 4 Fußballfeldern pro Sekunde? Allein bei dieser Dimension hört es doch schon auf, wie erst wollen wir das Ausmaß einer Klimakatastrophe oder das Alter eines Dinos wirklich in unser kleines Gehirn reinkriegen?

Wir benutzen dutzende Dinge Tag für Tag – und sind völlig ahnungslos, was ihre Funktionsweise angeht. Warum wird es hell, wenn wir das Licht einschalten? Und vor allem: Warum bemerken wir das? Jahrelang wurde gelehrt, man solle sich das Licht in “Wellenform” vorstellen, über die es das Auge erreicht. Und heute? Wie war das nochmal mit den “Quanten”? (siehe dazu / lesenswert: “Eine kurze Geschichte der Zeit” von Stephen Hawking).
Ich sitze vor meinem Laptop, im Hintergrund läuft das Radio. Hallo? Das ist ein viereckiger Kasten mit ein paar Knöpfen und einem schicken Display, an dem irgendwo eine Stange gen Himmel heraussteht. Und da soll Musik herauskommen? Natürlich, es gibt Funkwellen, aber wie genau funktioniert das?

Das Schlimme finde ich nicht, dass wir all das nicht oder nur ungenau wissen. Das wirklich Frappierende daran ist, dass uns das doch überhaupt nicht mehr interessiert. Wir sitzen in unserem eigenen, selbstgebastelten Kreislauf aus arbeiten, essen, schlafen und etwas Freizeit, aus dem wir nicht mehr heraus wollen, außer vielleicht für eine Woche Strand auf Mallorca im Jahr, von dem wir uns so vereinnahmen lassen, dass wir etwas grundlegend Überlebenswichtiges verloren haben: Die Neugier.
Goethe hat über einen Neugierigen einmal geschrieben: “In jedem Quark begräbt er seine Nase.” Kinder sind dafür bekannt, dass sie alles Unbekannte ersteinmal einer ausgiebigen sensorischen Prüfung unterziehen, um den Gegenstand mit allen Sinnen zu erfühlen, zu riechen und zu schmecken. Das muss nicht immer unbedingt gesund sein, aber mit genau dieser “das ist aber bäh!”-Einstellung versperren wir uns doch selbst neue Erfahrungen. Mit den Jahren verlieren wir unsere Neugier, die Spannung vor Neuem , die GIER auf Neues, die kindliche Entdeckerfreude. Und wir sorgen dafür, dass das bei unseren Kindern genauso wird – “das macht man nicht, Klaus-Jürgen!”.

So lange unsere Kinder noch glauben, Kühe seien lila, Cornflakes wüchsen auf Kornfeldern und man könnte Gummibärenbäume pflanzen, bewegen wir uns weiter rückwärts in Richtung “Nullkenntnis”, denn während der allgemeine wissenschaftliche und technische Fortschritt voranschreitet bleiben wir auf unserem mühsam zusammengeklaubten Häufchen Wissen stolz sitzen wie der Kaiser auf seinen neuen Kleidern – und merken gar nicht, wie sie veralten und von Motten zerfressen werden.

Ende des 16. Jahrhunderts sprach der Philosoph Francis Bacon davon, dass “Wissen selbst […] Macht” sei. Diese Aussage, interessanterweise veröffentlicht in dem Werk “Religiöse Betrachtungen”, bezieht sich darauf, dass es beim Wissen an sich seiner Ansicht nach nicht auf das Anhäufen, sondern auf seine Anwendbarkeit ankommt. Was hilft uns die Erkenntnis, dass schwarze Löcher verdammt gefährlich sein können, wenn man in eines reinfällt – wenn uns doch schon das Verständnis für einen 11.034 Meter tiefen Marianengraben fehlt? 3 Meter tiefe Hallenbadschwimmbecken, ok. Aber 11 Kilometer??

Eben. In einem Marianengraben kann man wenigstens schwimmen, Wissen darüber ist uns zumindest örtlich näher – als ein ebenfalls gefährlich tiefes schwarzes Loch.

Andererseits meinte Einstein: “Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.” Wo aber verläuft diese Grenze? Dort, wo wir mit unserem Verstand nicht mehr weiterkommen? Wo Fakten fehlen? Aber ist nicht Phantasie ebenfalls ein Teil unseres Verstandes, der mit Fakten operiert? Phantasie kann über das hinausgehen, wovon wir wissen, dass das Mögliche, Greifbare und GeWisse an seine Grenzen stößt. Aber wir können unseren Horizont erweitern. Wir müssen nur endlich wieder neugierig, wieder wie Kinder werden – wir können nicht, wir müssen fragen, denn sonst läuft irgendwann die Zeit an uns vorbei und fragt uns nicht mehr danach, wo wir eigentlich geblieben sind.

Um es mit Newtons Worten auszudrücken: Je mehr wir wissen, desto größer wird der Ozean dessen, was wir nicht wissen.
Am Ende bleibt uns nur noch die Erkenntnis: Wir haben keine Ahnung.
Noch nicht einmal davon, wer wir eigentlich selbst sind.

Und zumindest für die unbekannten Tierarten gibt es einen Trost: Wir brauchen uns kaum Sorgen darum machen, dass wir sie noch nicht alle kennen. Beim derzeitigen Voranschreiten der Umweltzerstörung werden wir von der Existenz vieler dieser Arten ohnehin nie erfahren.

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