Im Nebel

Heute Morgen war ich lange im Nebel spazieren. Ich finde diesen Moment so schön, wenn die Nebelschwaden langsam von der Sonne hinweggefegt werden und es aussieht, wie wenn große Schneebäuschchen (welch ein Wort!) über die Felder fliegen würden.


Dabei ging mir die ganze Zeit ein Gedicht durch den Kopf:

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;

Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,

Das unentrinnbar und leise

Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.

Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Ich mag dieses Gedicht sehr, vor allem wegen seiner Intensität, es trägt so eine Kälte in sich, man spürt förmlich, wie einem die winzigkleinen Wassertröpfchen unter die Kleidung kriechen.

Es stammt von Hermann Hesse, er hat es erstmals 1911 in seinem Gedichtband “Unterwegs” veröffentlicht, da war er gerade einmal 34. Er schrieb es kurz nachdem er einige Zeit mit einem wandernden Dichter und Einsiedler in dessen Höhle gelebt hatte. Hesse und mich verbinden auf eine gewisse Weise die selben Wurzeln. Und obwohl ich ihn sehr mag, bin ich, was das Gedicht angeht, nicht unbedingt seiner Meinung.
Es kommt am Ende im Leben immer auf den Einzelnen an, darauf, für welche Wege, für welche Begleiter er sich entscheidet, in diesem Punkt hat er Recht. Ich habe jedoch lange geglaubt, wir Menschen seien nichts weiter als Einzelkämpfer, einsame Krieger auf weiter Flur, die einander höchstens einmal kurz begegnen, etwas Zeit miteinander verbringen, aber doch immer alleine bleiben.

Inzwischen denke ich anders darüber. “Keiner kennt den andern, jeder ist allein” – dies ist zwar eine leider sehr treffende Beschreibung der menschlichen Gesellschaft. Im Nebel völlig allein, ohne andere, nur für sich zu “wandern” halte ich dennoch für eine ganz bewusste Entscheidung, die jeder treffen kann. Und stellt man fest, dass “Freunde” sich von einem abwenden, wenn das eigene Leben plötzlich nicht mehr so taghell ist, – waren das wirkliche Freunde?
Genau wie jeder die Macht hat, zu entscheiden, ob er ein selbstsüchtiges Ekelpaket oder ein liebenswerter, umgänglicher Mensch werden will, kann sich auch jeder aus freien Stücken dafür entscheiden, alleine zu bleiben – erspart einem möglicherweise manchmal viel Ärger.
Wird aber auf Dauer ziemlich… einsam.

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