Statt Karten

“Schreib doch mal ne Karte, oder ruf mal wieder an”, hast du gesagt und mich dabei so angeschaut. Ich hatte immer gedacht, wir könnten mal anfangen, das sein zu lassen, dieses Verpacken von Wünschen und Wollen in glitzernde Blicke und das Drumherumschlingen von Formulierungen.

Ich werde die Karte vergessen und anrufen werde ich auch nicht. Mir ist das nämlich alles zu blöde. Was mir lieber ist als dieses Auspacken tausendfacher Lagen von Verpackungen, sogar viel lieber ist, ist, mir einen Moment zu teilen mit niemandem sonst, am liebsten am Abend, und beim Blick in den gar nicht so wolkenlosen Himmel noch eine Zigarette zu rauchen und einfach gar nichts zu denken und schon gar nicht an diese Blicke wie zugelaufene Welpen. Blicke, zugelaufene Welpen und Postkarten, das sind so Sachen, dafür werde ich nach meiner Rückkehr eine Sprechstunde einrichten, die aber leider nie stattfindet. Und ob ich zurückkomme, weiß ich leider auch nicht.

Ich sitze im Zug. Vor der Abfahrt kommt der Schaffner vorbei und erkundigt sich, ob ich wirklich in dieses hässliche Ortschaft am westlichen Rand der Insel fahren will. Ich empfinde diese kleine Geste in diesem Moment als große Zärtlichkeit, gebe ihm als Zeichen meiner Dankbarkeit meine Fahrkarte, er beißt zwei Löcher hinein und geht weg. Bleiben noch wir, R. und ich, und machen Selbstportraits. Er sagt, ich müsse melancholisch aus dem Fenster schauen, schließlich säßen wir jetzt in einem Zug, da mache man das so. Ich schaue also melancholisch. Andere sagen, ich sähe einfach nur fertig aus.

Denn es gibt nichts mehr zu werden, nicht einmal mehr Astronaut. Liebe hingegen kann noch etwas werden und schaut nie melancholisch aus dem Fenster. Aber schwierig wird es für sie dann, wenn sie keine Fenster kennt.

Polizisten in dunkelblauen Uniformen treten die Abteiltür ein, sie tragen Pistolen und Schlagstöcke an weißen Gürteln, durchs offene Zugfenster strömt der Rauch der Diesellok herein und füllt alles mit Nebel, Dagobert singt “Ich will dir alle meine Liebe schenken” und im Hintergrund trötet eine sehr laute Alarmanlage. Es ist eine menschenfeindliche Gesellschaft.

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By L.

I walk fast.

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