Wo sollen wir hin, was sollen wir tun, was soll das alles, und wer übernimmt die Verantwortung?

Um sieben Uhr gehe ich jeden Morgen aus dem Haus. Das Haus steht nördlich eines großen Parks, der Park liegt in einer Stadt, die seit Jahren Hauptstadt sein will. Sieben Tage die Woche bin ich in dieser Stadt unterwegs, meist zwölf, manchmal auch fünfzehn oder zwanzig Stunden.

Seit über fünfzehn Jahren warte ich.

In all der Zeit konnten weder YPS noch Armin aus der Sendung mit der Maus oder Daniel Düsentrieb ihrem Versprechen nachkommen, einen Anzug zu erfinden, der dessen Träger unsichtbar macht. Also ist man in dieser Stadt unterwegs, und es wäre ja noch zu ertragen, dass die anderen einen sehen können. Weit schlimmer:

man sieht die anderen.

Und was sieht man da? Ich erspare Ihnen die Details, ich will Sie nicht verstören, aber vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen sage: man sieht nichts Schönes. Gar nichts Schönes. Jetzt ist es Mai, da wird es zu allem Übel auch noch Sommer, ich bin sicher, Sie lasen davon in der Timeline Ihres Vertrauens, manche Twitterer behaupten derzeit, sie hätten das Haus verlassen und sogar die Sonne gesehen. Und diese Twitterer glauben, man glaubte ihnen das. Wie naiv! Und niedlich, nicht? Nicht. Aber auch der Wetterbericht sagt, es sei Sommer. Und wenn es Sommer wird, dann sehen die anderen nicht nur unschön aus, hinzu kommt eine nicht zu unterschätzende olfaktorische Komponente. Manchmal bin ich froh, kein Synästhetiker zu sein, ich würde vermutlich beginnen, zu halluzinieren.

Was tut man also?

1. Im Bett bleiben.

Eine sehr gute Sache, gerne auch einen ganzen Tag lang. Bleibt noch die Schwierigkeit, seine Vorgesetzten, Kollegen und Kunden dazu zu bringen, dass Meetings dann auch in diesem Bett stattfinden. Hat noch nicht funktioniert.

2. Chauffeur, Limousine, verdunkelte Scheiben.

Ja. Unbedingt. Sollten Sie mir dies finanzieren wollen, schicken Sie bitte eine kurze Nachricht an die hinterlegte E-Mail-Adresse.

3. Per Helikopter einfliegen.

Siehe Punkt 2, zusätzlich müssten Sie lediglich einen Hubschrauberlandeplatz subventionieren. Wenn Sie lieb sind, nehme ich Sie vielleicht auch mal mit.

Man könnte natürlich eine Sonnenbrille tragen, kann man aber dann doch nicht aufgrund des enormen nächtlichen Verletzungsrisikos.

Alteingesessene Berliner weichen der visuellen Konfrontation mit ihren Mitmenschen aus, indem sie gesenkten Hauptes durch die Stadt gehen, nein, die twittern nicht alle, die müssen aufpassen, dass sie nicht in Schlaglöcher treten und wollen niemanden sehen außer ihrer rechten, linken, rechten, linken, rechten Fußspitze. Mein Orthopäde allerdings sagt, Kopf runter und Schultern hängenlassen is nich, is schlecht fürn Rücken und fürn Nacken eh. Sie müssen wissen, ich habe Nacken, und ich habe keine Lösung.

Ich wollte das Unglück quantifizieren. Seine Dimensionen vermessen. Also zählte ich. Alle als Personen wahrnehmbaren Personen, die ich im Laufe eines sommerlichen Freitags sah. An jenem Tag ging ich aus dem Haus, fuhr U-Bahn und S-Bahn, ging einen Kilometer zu Fuß, setzte mich in ein kleines Café, ging ins Büro, war im Büro, verließ das Büro, ging drei Kilometer zu Fuß, holte die Liebste ab, ging mit ihr über die Oberbaumbrücke, wir aßen ein Eis, gingen in eine Bar, gingen zur U-Bahn, ich stieg ein, stieg um, lief die letzten 300 Meter und war zuhause. Ich wohne allein.

An diesem Tag zählte ich, all diese Menschen. Und als ich schließlich in meiner Alleinwohnwohnung ankam, waren es zweitausend. Nein, nicht Einhörnchen oder Eichhörner. Menschen. Das ist mehr, als mancher Ort in diesem Land Einwohner hat. Und ich sage Ihnen, schön war das nicht. (Bis auf zwei Ausnahmen, aber ein Promille, ich bitte Sie, das ist nicht der Rede wert.)

Wenn man das alles sieht, macht das ja was mit einem. Das hinterlässt Spuren, das macht einen fertig, das zerstört Illusionen, das ernährt ganze Heerscharen von Ärzten und Therapeuten.

Und das liefert die Daseinsberechtigung für dieses Blog. Natürlich könnte ich auch bloggen, weil ich es kann, aber, ich bitte Sie, das wussten Sie doch eh schon. Ich mache das, weil ich es will. Also setzen Sie sich, nehmen Sie sich einen Keks.

Keine Sorge, hier wird es schön.

Herzlich willkommen.

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