Fingerübung #1. Dienstag.

Die Tage und Wochen rauschen an mir vorbei wie ein Film, es ist ein guter Film, aber ich glaube, jemand spult die ganze Zeit vor, eines Tages werde ich zurückspulen und manche Szenen noch einmal ansehen müssen, wenigstens ist der Soundtrack gut. Das menschliche Gehirn kann maximal 24 Bilder pro Sekunde bewusst verarbeiten. 

Letzte Nacht bekam ich von zwei Betrunkenen je einen Heiratsantrag, am Ende stritten sie sich, wer von beiden mich zuerst heiraten dürfte, da ging ich schweigend das letzte Stück bis nach Hause und drehte mich nicht nach ihnen um. Heute habe ich mir den Wintermantel, den ich so mag, ein zweites Mal gekauft. Ich weiß nicht, wie viele Dinge es gibt, von denen ich mehrere besitze. Schwarze Bleistiftröcke und mein Lieblingsbuch, eines gehört mir, das andere ist ein Notfallgeschenk. Lieblingsbücher verleiht man nicht. Ich besitze mehrere Paar Strümpfe, die sich nur darin unterscheiden, dass sie an unterschiedlichen Stellen Löcher haben. Zwei Matratzen, die aufeinander liegen, manchmal stelle ich mir vor, sie wären zwei Körper, die Tag und Nacht eng aneinander geschmiegt verbringen. Kaffeedosen, sie stehen auf dem rostigen, alten Holzofen in meiner Küche. Ich muss noch Holz hacken, bevor der Winter kommt.

Schreiben ist wie Kopfkino. Wenn ich schreibe, drehe ich in meinem Kopf einen FIlm, ich sehe die Personen, die Orte, an denen sie sind, ich höre sie reden, manchmal sehe ich mit ihren Augen und denke ihre Gedanken. Wenn man den Film erst hat, muss man nur noch aufschreiben, was man sieht. Das ist einfach. Das Kopfkino ist die Schwierigkeit.

Vor einigen Tagen las ich zufällig noch einmal eine Serie aus dem SZ-Magazin, in der 16 Menschen eine Woche lang Tagebuch darüber führten, wie oft sie an Sex denken, wie oft sie Sex haben und mit wem, und vielleicht ist das Wichtigste daran gar nicht, wie sehr unsere Triebe uns steuern. Ein Mann schläft am Ende der 7 Tage Sonntag abends zu Beginn des Tatorts um 20:15 Uhr ein. In einer anderen Stadt hofft um 20:45 Uhr ein anderer Mann auf Sex. In seinem Fernseher läuft eine Sexszene aus dem selben Tatort. Ich mag die Idee, dass es irgendwie doch die selben Tage sind, die wir erleben.

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By L.

I walk fast.

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