Essen bringt Leib und Seele zusammen… in den Knast. // Soul Kitchen von Fatih Akin.

Der schwarze Glitzervorhang öffnet sich. Von links weht eine Glühweinfahne.

Und es beginnt: Ein Film, der nach dem exzessiven Genuss von Weihnachtsmenü und Wein in rauhen Mengen umso besser zu genießen ist.

Schon die ersten zwei Minuten stimmen auf das Chaos ein, das in den nächsten 96 minuten nicht nachlassen wird – allein die letzte Minute offenbart… aber dazu später.

Neben dem Chaos regiert vor allem die gut gefüllte Tiefkühltruhe in Zusammenarbeit mit der Fritteuse die Karte im Soul Kitchen, dem in einer ehemaligen Fabrikhalle angesiedelten Restaurant des Deutschgriechen Zinos (hurra!: Adam Bousdoukos). “Soul Kitchen, wegen Soulmusik und so, weißte?” Doch der Laden läuft nicht, und beim Versuch, eine Spülmaschine herumzuwuchten, zieht der krankenversicherungslose Zinos sich einen Bandscheibenvorfall zu. Auch die Ankündigung “freu dich doch – ab morgen biste mich los!”, die seine Freundin Nadine (deutlich farbloser als sie in der Rolle sein dürfte: Pheline Roggan) ihm entgegenkeift, trägt nicht gerade zu seiner Aufheiterung bei.

Denn Nadine ist Journalistin und wurde als Auslandskorrespondentin nach Shanghai versetzt, und zuvor droht noch ein Abschiedsessen mit ihrer Verwandtschaft im Edelrestaurant. Nadines Oma (Monika Bleibtreu) führt bei Tisch ein hartes Regiment: “Es wird gegessen, was aufn Tisch kommt! Ordentlich hinsetzen! … Weiteressen!” Währenddessen wird der noch-Chefkoch des Restaurants gefeuert, da er sich weigert, eine Gazpacho auf Wunsch eines Gastes kurz in der Mikrowelle zu erwärmen und heiß zu servieren – und Zinos wittert seine Chance. Er flüchtet zu einer Atempause mit Zigarette nach draußen und engagiert Shayn (grandios als Messerwerfer: Birol Ünel) spontan als Koch für sein Restaurant. Der steckt nur noch eben sein Messer mit 30 Zentimeter-Klinge in die Jackett-Tasche und schlägt ein.

Voll des Verständnisses für die Sorgen seiner Freundin (sie: “Ich hab Angst!” – er: “Jetzt fang nicht schon wieder damit an!” – sie: “Doch nicht sowas! Flugangst, weißte doch!!”), verbringt Zinos den letzten Abend mit ihr. Nadine erklärt ihm, wie Skype funktioniert, er ist jedoch nicht sonderlich begeistert: “Ich will dich sehen, dich spüren, dich riechen!” – Sie: “Wenn ich dich riechen will, geh ich einfach in die Pommesbude!

Und dann ist sie weg.

Und er sitzt da, allein in seinem Restaurant, dreht an einer Spieluhr, und als wäre sein Elend noch nicht groß genug, taucht nun auch noch sein Bruder auf: Illias (mit 5 Zentimeter-Goldkreuz auf der Brust: Moritz Bleibtreu), der Einbruchkönig, der in der Elternversion auf einer Bohrinsel arbeitet, offiziell aber noch ein halbes Jahr Haft abzusitzen und seit neuestem täglich Freigang haben kann. Voraussetzung: Er muss einen Job vorweisen. Also bittet er seinen Bruder, ihn im Restaurant einzustellen. Zinos ist alles andere als begeistert: “Du hast doch noch nie gearbeitet!” – “Ich will doch auch nur so tun als ob!”

Spaghetti in Sahnesauce! Spinat in Sahnesauce! Pommes in Sahnesauce!

Shayns Entsetzen beim Anblick der Karte des Soul Kitchen ist grenzenlos, er verweigert sich. “Eine Hure ist eine Hure ist eine Hure – und ich bin Koch! Die Leute haben Löcher im Bauch und die stopfen sie mit Dreck!” “… Essen für die Seele – Soul Kitchen“, das soll es zukünftig sein.

Doch leider vergrault er mit dieser Maßnahme trotz den eifrigen Bemühungen von Kellnerin Lucia (bezaubernd: Anna Bederke) Zinos Stammpublikum (“und wo krieg ich jetzt meine Frikadelle her?”), und dessen Probleme nehmen neue Dimensionen an: Das Gesundheitsamt  wird ihm auf den Hals gehetzt (Frist: 4 Wochen), und das Finanzamt will in drei Wochen wieder vorbeikommen (“beim nächsten Mal bringen wir Hunger mit!“). Als Barkeeper und Gitarrist Lutz (Lucas Gregorowicz) die Proben seiner Band mangels Proberaum ins Soul Kitchen verlegt, fängt der Laden dank der Groupies wider Erwarten an zu laufen. Der Gipfel: Die ultimative Party, die dank Shayns geheimer Nachtischbeigabe (“es wirkt aphrodisierend – mit anderen Worten: Es macht geil wie Schifferscheiße!”) ungeahnte Dimensionen annimmt.

Und während Zinos jetzt seine Sachen packt, um Nadine doch noch hinterherzureisen, verzockt Illias den gesamten Laden an den Immobilienfuzzi Thomas (hellblondgefärbt, pfui Galle! Der tolle Wotan Wilke Möhring), Zinos’ alten Klassenkameraden. Dummerweise kehrt Zinos jedoch früher zurück als gedacht…

Ja, es gibt ein schönes Ende. In allerletzter Minute. Zwar ohne Thomas (“Er hat das Finanzamt gefickt. Jetzt hat das Finanzamt ihn gefickt.”), ohne Illias (“Dein Vertrag auf der Bohrinsel wurde verlängert”), ohne Shayn (“Der Reisende ist noch nicht am Ende, er hat sein Ziel noch nicht erreicht.“), und mit Schulden, – aber dafür mit einem geheilten Rücken (“Ich kann mich nicht bewegen! Ich hab Bandscheibe!“) und einem selbst zubereiteten Dinner im Kronleuchterschein. Und zum Schluss findet plötzlich doch jeder seinen Platz – egal ob auf der Eisbahn, hinter dem Tresen oder am Tisch gegenüber von jemand anderem.

Dieser Film des in Hamburg geborenen Fatih Akin ist offiziell ein Heimatfilm – der Heimat neu definiert. Und sie einerseits an einem Ort festmacht, einem Ort, der die dort Verwurzelten viel wert ist, der zwar eine Konstante, aber immer wieder wandelbar ist, sich ständig in einem neuen Gesicht zeigt. Vor allem aber ist Heimat eine Mischung aus Menschen und Gefühlen – Familie und Freunde, Liebe, Vertrauen, Treue. Heimat sind die Menschen, die sich an einem Tisch versammeln, die man so nimmt, wie sie sind, und nicht so sieht, wie sie sein sollten. Mit dieser Haltung fügt dieser Film, dessen Entstehung sechs Jahre dauerte, nahtlos in Akins weiteres Werk, auch in die Trilogie Liebe, Tod, Teufel, ein. Heimat ist eine Konstante, und so gibt es auch im Film einige Kleinigkeiten, die immer wieder auftauchen: Der wunderbare alte Kauz Sokrates mit seinen Ohrschützern. Thomas’ Verlobte: “Krieg ich jetzt mein’ Sekt??!” Illias: “Haste mal ‘nen Zwanni für mich?” Und Zinos, der wirklich überall seine Rückengymnastik macht – was besonders mitten in einem Club unglaublich sexy ist.

Soul Kitchen lebt.

Dafür sorgen auch die farblich und im Bildaufbau grob-charmant durchkomponierten Bilder, mit denen Akin seiner Heimatstadt Hamburg huldigt: Von den Gebäuden in der touristisch überfrachteten Speicherstadt, in der die einzige sonnenlichtdurchflutete Minute des Films stattfindet über den Hafen, der in Form eines Mini-Schiffs den Film durchzieht, bis hin zu den Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, und deren gemeinsamer Nenner das Soul Kitchen ist. Angenehm entspannt: Akins Umgang mit der kulturellen Vielfalt seiner Menschen, die schlicht selbstverständlich ist und nicht groß thematisiert wird. Das unterscheidet diesen von Akins bisherigen Filmen, macht ihn aber umso sehenswerter, da diese relaxte Selbstverständlichkeit auch den Leben seiner Zuschauer gut zu Gesicht stehen würde.

Ihren großen Reiz bekommen die Bilder durch die immer leicht abgefuckte, kaputte Schönheit der Stadtteile, die noch nicht der Gentrifizierung, dem großen Hamburger Thema, zum Opfer gefallen sind. Übrigens, Stichwort Hamburg: Dass es sich um eine Co-Produktion des NDR handelt, war spätestens dann beim besten Willen nicht mehr zu übersehen, als der x-te Großstadtrevier-Darsteller durchs Bild tänzelte.

Soul Kitchen ist ein sehr sinnlichkeitslastiger Streifen und Nahrung für die Seele. Man möchte danach durch die Straßen tanzen, eine riesige Party feiern und jemanden mindestens umarmen. Was kann es in einem kalten, grauen Winter Besseres geben?

P.S.: Zum Vorglühen: Der Soundtrack…!

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